Kommentar: Aus der Verantwortung gestohlen

Kommentar : Aus der Verantwortung gestohlen

Seit dem späten Sonntagabend gibt es in Mönchengladbach und bei allen Sympathisanten der Borussia nur ein Thema: der unrühmliche Abgang von Trainer Lucien Favre. Man muss es so nennen, denn die Art und Weise, wie der Schweizer seinen Rückzug kommunizierte, ist nur schwer nachvollziehbar und noch weniger zu akzeptieren.

Nach langen Gesprächen mit der Führung von Borussia am Sonntag, in denen Favre (nicht zum ersten Mal seit seiner Zeit in Gladbach) seinen Rücktritt anbot, sein Gesuch bei Präsident Rolf Königs und Sportdirektor Max Eberl aber auf taube Ohren stieß, wandte sich der Schweizer mit einem eigenen Statement an zwei Presseagenturen, die die Botschaft Sonntagabend in Windeseile verbreiteten. Borussia selbst wurde von Favres Schritt vollkommen überrumpelt und konnte erst eine Stunde später mit einer eigenen Erklärung reagieren.

Mit seinem Entschluss, will Favre glauben machen, soll weiterer Schaden zum Wohle des Vereins abgewendet werden — das Gegenteil ist der Fall. Vor der "englischen Woche" mit den wichtigen Spielen gegen Augsburg (Mittwoch) und in Stuttgart (Samstag) sowie dem Champions League-Spiel gegen Manchester City in der kommenden Woche muss Eberl nun einen Trainer aus dem Hut zaubern, der den letztjährigen Tabellendritten aus seiner sportlichen Krise führt.

Hat Favre geahnt, dass die Verantwortlichen schon die Fühler nach einem möglichen Nachfolger ausgestreckt haben und ist seinem Rauswurf nach möglichen weiteren Niederlagen in den kommenden Tagen nur zuvor gekommen? Unwahrscheinlich, denn noch in Borussias anschließender Erklärung wird Eberl wie folgt zitiert: "Wir sind nach wie vor total davon überzeugt, dass Lucien der perfekte Trainer für Borussia ist und wir gemeinsam mit ihm die aktuelle, sehr schwierige sportliche Situation überstehen werden."

Auch Eberl wird gewusst haben, dass dies Favre nicht umstimmen wird, doch eine solche Kaltschnäuzigkeit, öffentlich — auch in der Krise — immer hinter dem Trainer zu stehen, ("Favre ist unrauswerfbar"), hinterrücks aber schon Kontakt zu möglichen Nachfolgern aufgenommen zu haben, würde zum "straighten" Eberl überhaupt nicht passen.

Er dürfte tatsächlich, genau wie alle anderen Verantwortlichen des Klubs, von Favres Entscheidung vollkommen überrascht und vor vollendete Tatsachen gestellt worden sein. Auf einer Pressekonferenz heute (Montag) um 14 Uhr will Eberl nun erklären, wie es weitergehen soll. Ob man ihm die persönliche Enttäuschung über die Vorgehensweise von Favre, dessen schrullige und anstrengende Art der Sportdirektor in den vergangenen vier Jahren stets geschützt und akzeptiert hat, anmerken wird, ist abzuwarten.

Was bleibt, ist verständnisloses Kopfschütteln über Favre — nicht wegen dessen Entschluss an sich, denn persönliche Konsequenzen zu ziehen, ist sein gutes Recht — sondern aufgrund der Art und Weise, wie der eigensinnige Schweizer seine Entscheidung kommunizierte, sowie den Zeitpunkt seines Rücktritts.

Favres sportliche Erfolge bei Borussia sind unbestritten, doch sich derart aus der Verantwortung zu stehlen, ist schlicht und ergreifend feige.

(StadtSpiegel)