Beleidigung und Streit - und dann?

Beleidigung und Streit - und dann?

Berthold Bauer und Michael Römer sind die neu gewählten Schiedspersonen für Brüggen und Bracht. Bauer übt das Ehrenamt schon seit fünf Jahren aus, Römer löst Erich Lehnen ab.

Seinen ersten "Fall" als Schiedsmann hat Michael Römer schon hinter sich. Es war eine "Tür-und-Angel-Angelegenheit", ein Fall, der am Ende gar kein Fall wurde. "Es war der Klassiker — die nicht geschnittene Hecke", erzählt er. Und es war wie so häufig, wenn ein Schiedsmann eingeschaltet wird: Eine Frau wollte nicht selbst mit ihren Nachbarn reden, sondern das den Schiedsmann machen lassen. Doch genau das ist nicht seine Aufgabe. "Wir sind dazu da, die Parteien an einen Tisch zu holen, ein Gespräch zwischen ihnen zu moderieren", sagt Römer. Als die Frau hörte, dass sie selbst mit dabei sein müsse und auch erst einmal 50 Euro mitbringen solle, "da hat sie sich dann entschlossen, es erst noch mal selbst zu versuchen".
Berthold Bauer lächelt dazu. Das kennt er auch. Vor fünf Jahren ist er zum ersten Mal zum Schiedsmann gewählt worden, jetzt hat er sich wieder wählen lassen. Weil er im Ruhestand ist und Zeit hat, hat er parallel eine Mediatoren-Ausbildung gemacht, um noch besser vermitteln zu können. Denn vor allem, so ist er sicher, brauche ein Schiedsmann Fingerspitzengefühl. Er hat auch schon Hecken-Fälle der besonderen Art gehabt — in denen es nämlich keine Einigung gab, und die Hecke am Ende nach Ortsrecht zwangsgeschnitten wurde. Aber er kennt auch die Nachbarn, die sich eigentlich gar nicht kannten, nur aneinandergrenzende Gärten hatten, wegen derer sie über Kreuz lagen. An seinem Tisch lernten sie sich erst richtig kennen — und dann sogar schätzen.


Viel über die Menschen und ihre Motivation erfahre man bereits im ersten Gespräch. Eine Brachterin habe sich sehr aufgeregt, sie sei von einer Brüggenerin "unwahrscheinlich beleidigt" worden und brauche dringend einen Schiedsmann. Als sie von den 50 Euro — die zur Hälfte für Aufwendungen an Telefonaten und Porto, zur anderen für Schiedsmann und Gemeinde als Entschädigung dienen — hörte, stellte sie noch am Telefon fest, dass es wohl doch gar nicht so schlimm sein könne.
Es gibt auch Menschen, die nicht zwischen der Schiedsperson als solcher und ihrem Privatleben unterscheiden können. Deshalb hat das Brachter Urgestein Erich Lehnen sich nicht für eine zweite Amtszeit als Schiedsmann beworben. Viele Menschen wollten Probleme an der Theke seiner Bäckerei diskutieren, andere waren mit seinem Schiedsspruch nicht einverstanden — und kamen anschließend nicht mehr einkaufen.
Die Einigung, die am Tisch des Schiedsmanns oder der Schiedsfrau erzielt wird, wird niedergeschrieben und gesiegelt. Sie ist für 30 Jahre bindend. Wer sich also einmal mit seinem Nachbarn darauf einigt, dass die Hecke zwei Meter hoch sein darf, der ist die nächsten 30 Jahre dazu verpflichtet, sie nicht höher wachsen zu lassen. Ansonsten könnte der Nachbar vor Gericht sein Recht einfordern.
Das passiert sehr selten, denn eigentlich sind die Schiedsleute ja dazu da, die Gerichte zu entlasten, kleinere Streitigkeiten so zu klären, dass es kein Urteil, sondern eine Einigung gibt. "Und am schönsten ist es, nach dieser Einigung gemeinsam auf der Terrasse zu sitzen und ein Bierchen zu trinken", sagt Berthold Bauer.

(StadtSpiegel)