Lebenswege nachgezeichnet

Lebenswege nachgezeichnet

Es ist eine Geschichte von Ausgrenzung und Verfolgung, von Flucht und Vertreibung, von Terror und Mord. Es ist die Geschichte von Frauen und Männern, von Kindern und Alten. Es ist die Geschichte der Juden in den Willicher Altgemeinden Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich.

Bernd-Dieter Röhrscheid und Udo Holzenthal haben am Freitag im Ratssaal von Schloss Neersen das Werk vorgestellt, für das sie zuvor fünf Jahre lang in verschiedensten Archiven und im Internet recherchiert haben. Der Titel "Die Geschichte der Juden in Willich — Jüdisches Leben in den Gemeinden Anrath, Neersen, Schiefbahn und Alt-Willich von 1700 bis heute" ist nicht übertrieben. Auf 278 Seiten wird detailliert das Schicksal der ehemaligen Mitbürger erzählt, von denen die meisten in den Todeslagern der Nationalsozialisten ermordet worden sind.

Röhrscheidt, ehemaliger Lehrer am St.-Bernhard-Gymnasium, betonte bei der Vorstellung des Buches, dass Schüler seines Gymnasiums wichtige Vorarbeiten für das Buch geleistet haben. So schrieben sie 1988 — die Pogromnacht jährte sich zum 50. Mal — im Rahmen des Projektes "Spurensuche" ehemalige Willicher Juden an, die vor dem NS-Terror ins Ausland hatten fliehen können. Damit war der erste Schritt zu einer Kultur der Erinnerung in der Stadt Willich getan. Unterstützt wurde dies von der benachbarten Realschule, die mehrere Fahrten nach Ausschwitz unternahm, und dort ebenfalls auf Spurensuche ging. 2011 nahm eine 9. Klasse des Schiefbahner Gymnasiums zudem an dem Projekt "Zug der Erinnerung" teil, das dem Schicksal der deportierten Kinder und Jugendlichen gewidmet war. Daraus entwickelte sich die stadtweite Initiative "Gegen das Vergessen — Stolpersteine in Willich". Die ersten Steine für sieben Mitglieder der Familie Kaufmann wurden 2011 in Schiefbahn verlegt. Seither folgten — auch dank der Unterstützung von Politik und den heutigen Hausbesitzern — viele weitere kleine Gedenksteine.

Stadtarchivar Udo Holzenthal hat die Recherche der Schüler lange begleitet, ebenso wie der Verein Heimat- und Geschichtsfreunde Willich (Ludwig Hügen, eine der treibenden Kräfte des Vereins hat zudem bereits 1985 ein erstes Buch über das Schicksal der Willicher Juden herausgegeben). Dies mündete 2012 in einer offiziellen Bildungspartnerschaft von Schule, Verein und Stadtarchiv.

Während Röhrscheid die Recherche seiner Schüler — vor allem im Internet — fortsetze, klapperte Holzenthal die Archive ab und wurde insbesondere im Landesarchiv Düsseldorf fündig. Wobei er davon profitierte, dass ihm nach Ablauf von Fristen Akten zugänglich waren, die lange tabu waren.

Die Heimat- und Geschichtsfreunde schließlich sind in die Rolle des Herausgebers geschlüpft und machten es so möglich, dass Sponsoren wie die Willicher Kulturstiftung der Sparkasse, die NRW-Stiftung, der LVR, die Stadtwerke Willich, die Volksbank Mönchengladbach sowie die Wirtschaftsbetriebe Meerbusch und das Wasserwerk Willich das Buch sponsern konnten.

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Im Mittelpunkt der 278 Seiten stehen die Biografien der Juden, die früher in Anrath, Neersen, Schiefbahn und Alt-Willich gelebt haben. Die Zuordnung fällt durch Farben, die für die Stadtteile stehen, leicht. Für gute Lesbarkeit sorgt zudem ein lebendiges Layout, das Thomas Ulrich entwickelt hat. Die komplexen familiären Beziehungen der jüdischen Familien, die ins gesamte Rheinland und bis nach Westfalen reichten, werden in 27 Stammbäumen aufgezeigt. Zur eindrucksvollen Dokumentation des jüdischen Lebens in den Alt-Gemeinden bis ins Dritte Reich hinein tragen vor allem aber die zahlreichen Fotos und Abbildungen von Dokumenten bei. Vieles wird hier erstmals öffentlich gemacht und stammt von den Nachfahren der Juden, die den Holocaust überleben konnten. Ein ausführliches Personenregister (inklusive der Mädchennamen der Frauen) dürfte nicht nur für Wissenschaftler interessant sein, sondern hilft auch bei der Zuordnung der Namen zu den Schicksalen.

Alle, die am Werdegang des Buches beteiligt waren, haben dazu beigetragen, dass in dem Buch die Geschichte der Willicher Juden lebendig wird und gezeigt wird, wie brutal und unmenschlich damals Deutsche mit Deutschen umgegangen sind. Weder Kinder noch Greise wurden von den Tätern verschont. Begonnen hat der Holocaust mit der Ausgrenzung einer Minderheit, die zuvor ein Teil des Gemeinwesen war. Dass sich so etwas nicht wiederholen darf, ist die wohl wichtigste Botschaft des Buches.

FAKTEN
"Die Geschichte der Juden in Willich — Jüdisches Leben in den Gemeinden Anrath, Neersen, Schiefbahn und Alt-Willich von 1700 bis heute" ist in einer Auflage von 500 Stück erschienen, kostet 29,90 Euro und ist in der Willicher Buchhandlung, im Schiefbahner Glückspilz, in der Anrather Bücherecke und bei Leyendecker in Neersen erhältlich.

(StadtSpiegel)