: Die Scham ist das Schlimmste

Während andere Senioren morgens den Frühstückstisch decken, dreht Grete M.* ihre Runde. Pfandflaschen sammeln. Die 73-Jährige ist eine von über 3400 Mönchengladbachern, die von Altersarmut betroffen sind. Grundsicherung? Bekommt sie. Aber was ist das schon? Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Ein Tag im Leben einer Nachbarin.

Zwei Pet- und vier Bierflaschen – viel ist das nicht, aber Grete M. ist schon mit weniger nach Hause gegangen. Immerhin: Es reicht für ein Brot vom Discounter. Butter gibt’s nicht. „Die Waschmaschine muss erst abbezahlt sein“, erklärt sie. „Die alte war kaputtgegangen, da habe ich ein Darlehen bekommen, deshalb sind jetzt jeden Monat noch mal 40 Euro von meinem Geld weg.“

Ihr Geld, das ist der so genannte „Regelsatz“, den sie als SGB XII-Empfängerin, erhält: 424 Euro – für Essen, Kleidung, Körperpflege, Gesundheit, Busfahren und Strom. Wenig genug...

In Mathe war Grete M. immer gut, damals in der Schule, aber es gibt Rechnungen, die gehen einfach nicht auf. So wie die Sache mit der Miete. Die soll nämlich, zusammen mit Neben- und Heizkosten, für die 540 Euro Unterkunftskosten, die Grete M. dafür von der Stadt erhält, gedeckt werden. Hat bislang auch gerade noch so hingehauen. Doch das Wohnungsunternehmen will jetzt sanieren und in Folge die Mietkosten drastisch anheben. Für Grete M. nicht zu bezahlen. Sechs Monate werden ihre Unterkunftskosten nach der Mieterhöhung übergangsweise erhöht, danach bleibt ihr nur eins: umziehen. Nur: Wohin? Es gibt doch keine günstigen Wohnungen. Und überhaupt: In eine fremde Umgebung – Grete M. macht der Gedanke Angst. Erst recht, seit ihr kleiner Nebenverdienst weggefallen ist. Zeitungen austragen – das schafft sie körperlich nicht mehr...

Ihre Familie will sie nicht belasten. „Die kommen selbst gerade so über die Runden!“, sagt sie. „Immer die Hand aufhalten“ – dafür schämt sie sich zu sehr. Und an wen soll sie sich wenden? Ihre Perspektive: aussichtlos. Denn Altersarmut unterscheidet sich von der Armut junger Menschen: Sie ist endgültig.

Für Karl Sasserath, Fraktionssprecher Bündnis 90/Die Grünen und Leiter des Arbeitslosenzentrums, eine unhaltbare Situation. „Die Gruppe der armen Alten wächst“, erklärt er. „Die Leistungen vom Amt sind nicht bedarfsdeckend, die alten Menschen kommen hinten und vorne nicht klar. Und in Mönchengladbach existiert im Bereich der Grundsicherung nach SGB XII keine Anlaufstelle in freier Trägerschaft, die Betroffene unabhängig von der Leistungsstelle auffängt und berät. Das muss sich ändern!“

Im Arbeitslosenzentrum gibt es für 2 Euro eine warme Mahlzeit. Wenn Grete M. die nicht hat, bringt sie Sasserath zwei Muffins aus dem Backshop – und bekommt von ihm eine Essensmarke. Ein guter Deal – auch das hat sie sich genau ausgerechnet.“

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*Name ist der Redaktion bekannt

Fakten

Von Altersarmut spricht man, wenn ein/e 65-Jährige/r als Single weniger als 917 Euro im Monat zur Verfügung hat und auf Unterstützung durch den Staat angewiesen ist.

3 400 Menschen sind allein in Mönchengladbach von Altersarmut betroffen – und die Dunkelziffer ist groß.

Der Regelsatz SGB XII sieht 35,32 Euro monatlich für Bus & Bahn vor – ein Ticket 1000 kostet über 65 Euro. Für Gesundheitspflege gibt es nur 16,11 Euro im Monat. Krank werden? IGEL-Leistungen? Können sich Betroffene nicht leisten.