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: Es passiert täglich: Stalking

: Es passiert täglich: Stalking

Kein Tag ohne Opfer. Häusliche Gewalt und Stalking. Allein in Mönchengladbach gehen täglich mehrere Anrufe bei Werner Bredies, Kriminalhauptkommissar im Fachbereich Opferschutz und Außenstellenleiter des Weißen Rings, ein. Die Betroffenen: zu 95 Prozent Frauen. Wie ist das möglich? Der StadtSpiegel hat nachgefragt.

„Ich kenne Sie nicht“, sagt Werner Bredies zu der Frau in der Beratung, „aber ich kenne Sie durch und durch.“ Hört sich an wie ein Widerspruch, spiegelt aber die Erfahrungen des Kriminalhauptkommissares wider. Mit 59 blickt er zurück auf unzählige Fälle von häuslicher Gewalt und Nachstellung. Exakte Zahlen hat er nicht, aber eine „gefühlte Statistik“, die besagt: 95 Prozent sind Frauen, viele mit Kind. Typisch daran, so Bredies: „Frauen machen Prävention, um die Familie zu erhalten.“ Beleidigungen, Demütigungen, körperliche Gewalt – „die Gründe, warum Frauen das so lange aushalten, sind mannigfaltig: der Druck durch das soziale Umfeld zum Beispiel...

Frauen, die bei Werner Bredies sitzen, haben bereits eine Anzeige erstattet. Gegen ihren Mann oder Lebensgefährten. Warum? „Wegen einer Ohrfeige“, sagt der Opferschutzexperte, und verrät, wie er Bilder „malt“, um Frauen die Augen zu öffnen – dafür, dass es eben nicht um „die eine“ Ohrfeige geht. „Haben Sie Kinder? Sie kommen wegen einer Ohrfeige, ja? Und wie war das mit den Demütigungen in den 16 Jahren? Wenn er Sie wieder mal vor den Eltern schikaniert hat: ’Iss den Fraß selber!’“ Und so weiter. Bredies’ Fragen reißen Wunden auf. Es ist fast wie in einem Verhör. Es tut weh. Aber es wirkt. „Die Frauen tragen das ganze Gesetzbuch huckepack – das ist das Brutale daran!“ Bredies fährt fort. „Wenn eine Frau dann ausbricht, ist klar, was passiert. ’Das machst Du nicht mit mir!’ Schon geht es mit dem Stalking los...“

Den Opfern die Augen zu öffnen, ist nur ein erster Schritt im Kampf gegen Stalking. Was folgt, ist „ein langer Prozess“. Das wissen die Beraterinnen am Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen – und das sagt auch Werner Bredies. Darüber, dass „unser Rechtsstaat“ Stalking-Opfern wenig echte Hilfe bietet, schüttelt er selbst den Kopf. Fakt ist: Bevor die Polizei eingreift, muss schon richtig viel passiert sein. Nach dem Motto: Ein paar Stalking-Anrufe über Wochen? Peanuts! Und wenn dann noch nicht einmal handfeste Beweise vorliegen, verläuft eine so genannte Gefährderansprache beim Stalker oft im Sande, oder stachelt ihn sogar noch „zu mehr“ an.Daran ändert auch die 2007 durchgeführte Umwandlung von einem Privatklagedelikt in ein Offizialdelikt wenig. Zwar kommt es für eine Verurteilung dann nur noch auf eine „objektive Eignung zur scherwiegenden Lebensbeeinträchtigung“ an, nicht mehr darauf, dass das Opfer tatsächlich schon schwerwiegend beeinträchtigt worden ist, umziehen musste oder krank wurde. Die Strafbarkeit der Stalking-Handlungen hängt somit offiziell nicht mehr von der Reaktion des Opfers ab – das Unrecht liegt in der vorgenommenen Handlung. Aber was nützt es, wenn die Zahl und die Intensität der stattfindenden Stalking-Attacken unter der „Messlatte“ des Nachstellungs-Paragrafen 238 liegen? Wie belastend Stalking für die Betroffenen sein kann – Bredies erlebt es täglich. „Da ist etwas, das gehört nicht in Ihr Leben“, erklärt er. „Eine dritte Person erlegt Ihnen einen Zwang auf. Das treibt Sie aus der Spur!“ Im Alleingang ist Stalkern nicht beizukommen, so viel steht fest. Doch es gibt Hilfe. Tag und Nacht am Hilfetelefon. Bei der Frauenberatungsstelle. Und bei der Polizei. „Ich verspreche nichts, versuche aber alles“, sagt Bredies und zählt die Schritte auf, die Opfern aus der Stalking-Situation heraushelfen sollen: Anzeige erstatten! Ganz wichtig: Die Häufigkeit der Vorfälle festhalten und möglichst Beweise sichern (Mobilbox, Fotos, Filme von angenommenen Anrufen z. B.). Gut ist eine Tabelle mit Tag, Uhrzeit, Sachverhalt, Beweismittel. Unbedingt zu empfehlen: Netzwerk pflegen und kommunizieren, Freunde, Familie, Kollegen einbinden und über Aktivitäten informieren „Ich fahre jetzt los, bin in einer Stunde bei dir“. Außerdem Angsträume (z. B. einsame Wege) meiden! Und gegebenenfalls die Telefonnummer wechseln – oder die alte Nummer für die Beweismittelsammlung auf ein zweites Handy legen und den neuen Anschluss für den täglichen Gebrauch nutzen.Fazit: Raus aus der Opferrole. Stalking nicht hinnehmen, sondern aktiv werden. Gut zu wissen: Man ist nicht allein.