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In den sozialen Medien wird „gehatet“, was das Zeug hält.

Wut wohin man schaut : Ich weiß, wo dein Haus wohnt

Den Stinkefinger zeigen, nur weil der andere langsam fährt; keifen, weil die Verkäuferin den Preis nicht weiß; mit dem Anwalt drohen weil jemand eine andere Meinung hat – was ist bloß los mit uns? Warum sind alle plötzlich so wütend und dünnhäutig, dass die kleinsten Anlässe zu verbalen Entgleisungen führen?

. In den sozialen Medien wird „gehatet“, was das Zeug hält. Menschen, die ihre Opfer mitunter gar nicht persönlich kennen, versuchen, sie über Facebook oder Instagram fertig zu machen, gerne auch – besonders feige – anonym. Kinder werden schon in der Schule so schlimm gemobbt, dass sie nicht mehr hingehen wollen und selbst bei uns in der Redaktion rufen täglich Menschen an, die offenbar einfach nur mal bei irgendwem Dampf ablassen wollen – ihre „Mission“: Die Zeitung ist nicht gekommen, es steht was in der Zeitung, das sie anders sehen oder die Welt im Allgemeinen ist einfach schlecht. Wüten, haten, dissen: Warum ist der Ton im Alltag auf einmal so viel rauer geworden, als früher? Wir haben den Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Stefan Senger, stellvertretender Abteilungsleiter im Maßregelvollzug der LVR-Klinik Viersen, gefragt. Seine Antwort ist verblüffend einfach: Die Aggressionen seien gar nicht stärker geworden, die seien eigentlich immer gleich, sagt Stefan Senger. Die Hemmungen dagegen, die seien deutlich geringer geworden.

Und das habe damit zu tun, was man uns beigebracht habe. „Es ist ja nicht nur schlecht, dass wir nicht mehr, wie früher alles unterdrücken“, sagt Psychologe Senger. Früher, das war in den 50-er und 60-er Jahren. Damals durfte man auf gar keinen Fall laut werden, besonders Frauen nicht. Motto: Nur ja nicht auffallen. Menschen, die in dieser Zeit groß geworden sind, haben oft auch heute noch große Hemmungen. Die nachwachsenden Generationen hätten allerdings gelernt, die Hemmungen abzulegen und heute hätte auch so mancher Ältere seine „gute Kinderstube“, wie man es früher nannte, vergessen. „Wir lernen ja auch von unseren Kindern“, sagt Stefan Senger. Warum die heute nicht mehr wertorientiert handelten, habe unter anderem auch damit zu tun, dass der Erziehungsauftrag oft nicht gut erfüllt werde, aber auch Ego-Shooter-Spiele, Gewaltvideos und die Schnelllebigkeit der sozialen Medien trügen ihren Teil dazu bei, dass der Ton rauer sei als früher: „Das Tempo, mit dem sich die Welt verändert, ist so groß geworden, dass wir mit sowas, wie Moral nicht mehr hinterher kommen“. Um das schnelle Sich-Besser-Fühlen gehe es darum auch oft, wenn Menschen ihre Aggressionen einfach irgendwem im Alltag entgegen brüllten. „Dann sind sie erstmal erleichtert, weil sie ihren Zorn über was auch immer, los geworden sind“, sagt der Diplom-Psychologe. Möglicherweise würden sie sich hinterher sogar schämen.

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Die, die andere anbrüllen, sind nicht zwangsläufig die sprichwörtlichen Loser, die die Verbalaggression brauchen, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken. „Das kann jeder sein“, sagt Stefan Senger, manch einer habe auch einen „Trigger“, wie Alkohol oder Fußball, der Aggressionen auslöse.

Was man machen kann, wenn man Opfer einer Brüllattacke wird? Cool bleiben, so schwer es auch fällt. „Man muss sich auch nicht alles gefallen lassen“, sagt Stefan Senger, wer am Telefon in unangemessenem Ton angesprochen werde, dürfe auch einfach mal auflegen.