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: Mehrwertsteuersenkung: Was bringt sie und wem nützt sie?

: Mehrwertsteuersenkung: Was bringt sie und wem nützt sie?

Vergangene Woche hatte ich mir fest vorgenommen, in meiner heutigen Kolumne nichts über Einschränkungen, Lockerungen, deren Sinn oder Unsinn, Protest und Gegenprotest zu schreiben. Erst recht nicht über Verschwörungstheorien.

Und als hätte die Bundesregierung meinen Wunsch nach einem neuen Thema in der Corona Krise vernommen, geschah am 3. Juni Historisches. Zum ersten Mal seit Einführung des heute gültigen Mehrwertsteuersystems im Jahre 1968 kommt es zu einer Absenkung des Mehrwertsteuersatzes. Vom 1. Juli bis 31. Dezember von 19 auf 16 Prozent, respektive von sieben auf fünf Prozent.

Bei der Mehrwertsteuer handelt es sich fachlich korrekt ausgedrückt um die Umsatzsteuer. Diese entsteht für „Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt“ (§ 1 UStG). Die Steuer beträgt nach § 12 UStG 19 Prozent. Auf bestimmte Waren werden lediglich sieben Prozent erhoben. Zum Beispiel: Lebensmittel, Zeitungen, Pflanzen, Kunstgegenstände, Bienen, Herzschrittmacher und Briefmarken. Die Umsatzsteuer wird dem Nettopreis der Ware oder der Leistung hinzugerechnet und als Bruttopreis an den Kunden weitergegeben. Der Unternehmer muss die Umsatzsteuer dann aus dem vereinnahmten Entgelt herausrechnen und an das Finanzamt abführen. Ist der Kunde seinerseits auch ein Unternehmer, kann er sich die gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückholen. Dieser Erstattungsbetrag wird Vorsteuer genannt.

Ausgegebenes Ziel der Umsatzsteuersenkung um drei oder zwei Prozent ist die Stärkung der Konjunktur und der Wirtschaftskraft. Es stellen sich aber auch einige Fragen hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahme und hinsichtlich ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses.

Unternehmen müssen Preise neu auszeichnen sowie Kassensysteme und Buchführungsprogramme ändern. Und zwar zum 1. Juli und zum 1. Januar 2021 erneut. Ob der Einzelhandel die hierbei entstehenden Kosten wieder reinholt, weil das Pfund Butter 2 bis 3 Cent günstiger wird, wage ich zu bezweifeln. Nichts desto trotz haben Aldi, Lidl, Edeka und Rewe bereits angekündigt, die Mehrwertsteuersenkung durch Neuauszeichnung ihrer Bruttopreise an den Kunden weiterzugeben. Das ist lobenswert. Andererseits dürften genannte Unternehmen unter der Corona Krise auch nicht sonderlich gelitten haben.

Ein spürbarer Effekt für den Kunden entsteht mit steigendem Preis. Ein Kühlschrank für 700 Euro reduziert sich immerhin um 17,65 Euro. Das Auto für 30.000 Euro um 756,30 Euro.

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Beim Autokauf könnte im Übrigen folgende Situation entstehen: Wurde das Auto vor dem 1. Juli bestellt und bezahlt, aber erst zwischen dem 1. Juli und 31. Dezember geliefert, beträgt die Mehrwertsteuer 16 Prozent. Denn ausschlaggebend ist der Zeitpunkt der Lieferung. Ist aber bereits vor dem 1. Juli eine Rechnung mit dem da noch gültigen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erstellt worden, muss dieser korrigiert werden.

Besondere Aufmerksamkeit ist auch bei folgenden Verträgen geboten: Mitgliedsbeiträge unterliegen dem ermäßigten Steuersatz, da die Mitgliedschaft zum 31. Dezember vollendet wird. Zeitschriftenabos, Leasingverträge und andere Dauerschuldverhältnisse müssen wegen der unterjährigen Steuersenkung angepasst werden. Eine Vertragsanpassung könnte sich auch bei Bauleistungen lohnen. Denn hier ist in der Regel die Abnahme des Bauwerkes entscheidend für den Steuersatz. Vor dem 1. Juli 19, zwischen 1. Juli und 31. Dezember 16 und ab 1. Januar wieder 19 Prozent. Kann eine Abnahme im steuerbegünstigten Zeitraum nicht erreicht werden, könnte sich die Vereinbarung abgrenzbarer Teilleistungen, die dann unabhängig von der vollständigen Abnahme begünstigt besteuert werden können, lohnen.

Aufmerksame Steuerbürger haben die Zeichen der Zeit übrigens längst erkannt und stornieren bereits vergebene Aufträge an Handwerker. Auch bereits vereinbarte Anwaltstermine werden abgesagt und nach Möglichkeit auf Anfang Juli verschoben. Dies kann sich für den Kunden durchaus lohnen, führt aber zunächst zu einer Konjunkturbremse, also dem genauen Gegenteil des mit der Steuersenkung angestrebten Erfolges.

Über die Maßen motivierte Kunden haben bereits damit begonnen, ihren Heizungsmonteur oder Bauträger zu einer steueroptimierten fiktiven Verschiebung der Leistungserbringung in den steuerbegünstigten Zeitraum nach dem 1. Juli zu bewegen. Der Fachbegriff hierfür heißt Steuerhinterziehung.

Jan Lampe

Fachanwalt für Steuerrecht und zertifizierter Berater Steuerstrafrecht (DAA),

Partner der Kanzlei Hollender Lampe Lampe in Mönchengladbach