1. Mönchengladbach

Pflegende Angehörige wissen oft nicht, was ihnen zusteht

Interview mit Kontaktbüroleiter Georg Meurer : Doch, da geht noch einiges!

Viele Menschen pflegen ihre Angehörigen zu Hause und gehen dabei nicht selten über die Grenzen ihrer Kräfte hinaus. Um sie zu unterstützen, fördert das Land NRW gemeinsam mit den Landesverbänden der Pflegekassen Kontaktbüros Pflegeselbsthilfe. Ein solches Büro gibt es beim Paritätischen in Rheydt. Es wird von Georg Meurer geleitet. Extra-Tipp hat mit ihm gesprochen.

Extra-Tipp: Welche Nöte und Anliegen haben die Menschen, die in einer Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige Hilfe suchen?

Georg Meurer: Am Anfang steht immer die Verarbeitung der neuen Situation. Meistens sind die Ratsuchenden schon älter und ihre Partner betroffen und dann geht es vor allem auch darum, dass die Vorstellung vom gemeinsamen Lebensabend sich radikal verändert. Es ist ein großer Schritt, das zu verarbeiten.

Konkret?

Man hat sich vorgestellt, zusammen zu reisen, gemeinsame Hobbys zu pflegen und plötzlich geht das alles nicht mehr oder viel schlechter. Die Menschen ringen mit der neuen Situation und oft weinen sie auch.

Welcher Art sind die Schicksalsschläge?

Es muss nicht immer jemand direkt bettlägerig sein. Die Diagnose Demenz etwa wirft eine Partnerschaft auch aus der Bahn, wenn die Krankheit noch im Anfangsstadium ist. Angehörige wollen ihren alten Partner wieder haben, müssen sich mit einer neuen Realität abfinden und damit, dass sich Menschen mit Demenz zum Beispiel anders verhalten, unter Realitätsverzerrungen leiden, aggressiver, depressiv oder traurig sind. Bei dem Umgang damit, haben Angehörige oft die Befürchtung, etwas falsch zu machen. Rollenwechsel ist auch so ein Stichwort. Vielleicht haben Eheleute 30 oder 40 Jahre auf Augenhöhe gelebt, alles miteinander besprochen, Entscheidungen zusammen gefällt. Und jetzt muss einer die Verantwortung übernehmen und alle Entscheidungen alleine treffen.

Wie können Sie helfen?

Wir möchten Angehörigen eine einfache Möglichkeit bieten, sich auszusprechen. Dazu schaffen Selbsthilfegruppen einen Raum, in dem sie sich informieren und austauschen, aber auch Sorgen und Fragen miteinander teilen können.

Gibt es auch ganz handfeste Tipps, die Sie dann geben können?

Oh ja. Bei dem Bedürfnis, zu helfen, gehen viele Angehörige weit über ihre Grenzen hinaus. Sie meinen, wenn sie Verhinderungspflege, ambulante Pflegedienste oder Tagespflege-Einrichtungen in Anspruch nehmen, würden sie den Kranken abschieben. Oder sie trauen sich nicht, nach solcher Hilfe zu fragen. Oft sehen sie das selber gar nicht. Von außen ist die Situation aber meistens klar erkennbar. Da geht es ja nicht nur um „technische“ Hilfe. Demenz-Erkrankte zum Beispiel sind oft wütend und lassen ihren Ärger an dem aus, der als nächster da ist: dem Angehörigen. Die stehen in erster Reihe und bekommen alles ab. Davon braucht man Pausen. Ein- bis zweimal in der Woche eine ambulante Einrichtung in Anspruch nehmen, schafft Atempausen, auch für die Pflegebedürftigen. Solche Verhältnisse kriegen ja auch oft eine Eigendynamik, Angehörige sind in einer Spirale, aus der sie nicht mehr alleine raus finden.

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Wie meinen Sie das?

Wenn sich ein Kranker zum Beispiel von seiner Frau nicht mehr duschen lässt, weil sie das „nicht richtig“ macht, hat ein Pflegedienst möglicherweise gar kein Problem. Und plötzlich geht das ganz einfach. Solche Hilfe schafft notwendige Entlastung. Denn bei Überlastung werden die Angehörigen auch krank und dann bricht das ganze System zusammen.

Geht es bei diesen Fragen nicht vor allem ums Geld?

Eher weniger. Meistens sind die Möglichkeiten gar nicht ausgeschöpft, vielleicht der Pflegegrad nicht einmal festgestellt und dementsprechend auch nicht bekannt, auf welchen Betrag von der Pflegekasse ein Anspruch besteht. Wir können dann sagen: Doch, da geht noch einiges!

Können Sie noch etwas über die Selbsthilfegruppen sagen?

Das sind zur Zeit vier Gruppen in verschiedenen Tagespflege-Einrichtungen und hier beim Paritätischen. Die Teilnehmer*innen sind zumeist Frauen zwischen 40 und 80 Jahren. Mal kommen nur vier, mal acht, das ist ja nicht verpflichtend.