1. Mönchengladbach

Wartende versuchen, mit Pöbeleien schneller zum Impftermin zu kommen

Rauer Ton beim Impfen : Mit Pöbeln an die Spitze der Impfliste?

Seit die Impfpriorisierungen aufgehoben sind und sich jeder impfen lassen kann, hat bei vielen ein „Ellenbogendenken“ eingesetzt. Von Gemeinsinn weit entfernt, vergreift sich so manch einer im Ton, um an einen Impftermin zu kommen. Praxisteams leiden zunehmend unter dem Stress.

. So manche Arztpraxis und die Impfzentren sind zu „Kriegsschauplätzen“ geworden, wenn es darum geht, vermeintliche Impfansprüche durchzusetzen, sich aus egoistischen Gründen und zumeist profanen Motiven wie etwa Urlaub oder Party an die Spitze langer Warteschlangen zu mogeln. Da wird, gedroht, gepöbelt und gemeckert, dass selbst bei altgedienten routinierten Ärzten und Praxismitarbeiter*innen die Nerven blank liegen. „Wir werden aussteigen, wenn wir weiter beschimpft werden“, hatte der Mönchengladbacher Kinder- und Jugendmediziner und Impfexperte Ralph Köllges in der virtuellen Corona-Diskussionsrunde des CDU-Landtagsabgeordneten Jochen Klenner schon vor ein paar Wochen verärgert angekündigt.

Romy Tsavtaridis, seit 35 Jahren mit Leib und Seele vollschichtig Arzthelferin in einer Hausarztpraxis in der Innenstadt und nebenberuflich im Impfzentrum tätig, kann das gut nachvollziehen. „Ich lebe meinen Job, aber was hier gerade abgeht, ist unglaublich“, sagt sie. Seit die Hausärzte beim Impfen mit ins Boot geholt worden seien, stände das Telefon nicht mehr still. „Eigentlich brauchen wir alleine dafür eine Hilfskraft“, sagt sie.

Dass der Ton ruppig geworden ist, davon kann sie ein Liedchen singen. Die Leute regen sich auf, weil sie nicht durch kommen, sie regen sich auf, wenn sie draußen warten müssen, damit die Praxisräume nicht zu voll werden, sie diskutieren, warum alles so lange dauert. Oft wird der Ton laut und aggressiv, manche versuchen es auch mit Bestechung. „Ich hätte reich werden können bei dem, was man mir schon alles für eine Impfdosis geboten hat“, sagt Romy Tsavtaridis, die eigentlich dafür bekannt ist, den Humor nicht zu verlieren. Doch in den letzten Monaten hätten sie in der Praxis das Drei- bis Vierfache an Arbeitsaufkommen gehabt, da seien selbst ihr nach all den Jahren auch schonmal die Tränen gekommen.

Gerade hat sie für die kommende Woche fünf Fläschchen BioNTech à sechs Impfdosen bestellt. 30 Leute können also in der Praxis nächste Woche geimpft werden, 30 von 350 Wartenden. Mehr Impfstoff gab’s nicht. Und deutlich stressiger, als etwa eine Grippeimpfung sei das Ganze. „Ich muss ja erst ins Labor und alles hochsteril vorbereiten“, sagt sie. Anschließend müssten die Spritzen in eineinhalb Stunden verimpft sein. Und dann gibt es da noch eine Menge Bürokratie. Zum Stress gehört auch, dass die Wartenden oft nicht zu erreichen seien. Manche würden erst am nächsten Tag zurückrufen und sich dann aufregen, wenn der Termin anderweitig vergeben sei.

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„Wenn jemand mit Anfang 20 hier Palaver macht, weil er für seinen Urlaub nicht sofort geimpft werden kann, während wir unsere chronisch Kranken immer noch nicht ganz durch haben“, da kriege ich einen Anfall“, sagt die routinierte Arzthelferin.

Über Fernsehberichte, in denen medizinisches Personal in die Kamera sagt, dass man sich von Applaus nichts kaufen könne, hat sie sich am Anfang geärgert. Jetzt sieht sie die Dinge genauso: „Es gibt für alle möglichen Berufsgruppen Sonderboni, für medizinische Fachangestellte nichtmal Anerkennung“.