Sehr geübter Herr Renner!

Ein öffentlicher Brief hat zwei Vorzüge. Zum einen ist er öffentlich, damit passt er in dieses Format. Zum anderen hat ein Brief auch etwas Persönliches. Ich finde, das passt auch, denn was ich Ihnen schreiben möchte, ist persönlich.

Objektivität wird doch bei einem Vortrag eines Politikers zur Anschauungssache, oder?

Burkhard Laborius vom AfD-Ortsverband Grefrath und Lothar Kronauer vom AfD-Stadtverband Nettetal hatten mich zu Ihrem Vortrag in das Haus Kother nach Leuth eingeladen. Sie, Herr Martin E. Renner, sind Gründungsmitglied der AfD – der Alternative für Deutschland. Derzeit sind Sie Landessprecher der AfD im Landesverband Nordrhein-Westfalen.

Obwohl ich nicht mit Ihrer Partei sympathisieren kann, habe ich mich entschlossen, Ihnen zuzuhören. Nach Ihrer gut einstündigen Rede habe ich Sie beglückwünscht. „Gut gesprochen“, habe ich gesagt und meinte die Art – nicht allerdings das Wort. Sie haben eine angenehme Stimme, Sie sprechen ohne „ää’s“ und „mhh’s“, Sie nutzen Hand und Blick geschickt, und Sie binden das Publikum in Ihre Rede ein – und damit an sich. Sie sind ein guter Redner. Sie sind gut geübt. Sie fragten mich bei dieser Gelegenheit: „AfD-Mitglied?“ Ich sagte: „Nein.“ „Wollen Sie’s werden?“ Ich sagte: „Nein.“

Ab 18.30 Uhr sollte an diesem Freitagabend „Die Alternative für Deutschland macht Zukunft möglich“ das Thema sein. Aber es zog sich etwas. Macht nichts. Hier ein Händeschütteln, da noch schnell ein Zigarettchen. Dann, um 18.51 Uhr, ist der kleine Saal mit seinem etwas schummrigen, aber irgendwie gemütlichen Licht und den blau-samtig bezogenen Stühlen voll besetzt. 28 Zuhörer, sechs davon sind weiblich. Nun also wurden Sie von Lothar Kronauer begrüßt. Er bedauerte, dass einige Gäste aus Köln abgesagt hatten, aber so isses nun mal: De Effzeh spillt, dat es ald Wahnsinn.

Sie, Herr Renner, brauchen nicht lange, um in Form zu kommen. Sie zitierten Antoine de Saint-Exupéry: Man solle die Zukunft nicht beschreiben, sondern sie möglich machen. Sie nennen gleich Ihre Hauptthese. Der politische Raum sei verwüstet, und zwar in allen Bereichen. Die einzige Alternative sei die AfD. Man müsse sich dem links-orientierten Geist entgegenstellen, die Politik habe sich abgekoppelt vom Volk. Sie zeichnen Ihr Bild von Deutschland, und es ist ein düsteres Bild. Sie glauben, dass Deutschland mit der Einführung des Euro einen Teil seiner Souveränität aufgegeben habe und dass die EU nur zum Erhalt der politischen Elite geschaffen wurde.

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Sie müssen kurz unterbrechen: Die Speisenkarte geht durch die Reihen. Getränke werden bestellt.

Auch die Parteien in Deutschland hätten nur das Ziel, das Establishment zu erhalten. Kirchen, Medien und Gewerkschaften stünden hilfreich zur Seite. Sie beklagen, dass die demokratische Bildungsarbeit der Allliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, die Re-Education, vor allem eine andauernde Schuld der Deutschen zum Ziel hatte. Mir fällt William Faulkner ein: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“ Dieses Schuld-Ziel hätte auch die an Marx und Hegel orientierte Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer verfolgt. Väter hätten versagt, Söhne hätten sich davon distanzieren müssen. Die Übergabe von Traditionen sei verloren gegangen. Die Grünen schließlich hätten zusätzlich einen Keil zwischen Mann und Frau getrieben. Sie bemühen das Beispiel, dass die Feministin ihr Kind mit dem SUV bis vor die Schultür bringt, um danach mit der Freundin Abgaswerte zu diskutieren. Das alles führe zur Vereinzelung und somit zur Vereinsamung der Menschen.

Täusche ich mich, dass Ihre Vorschläge zur Verbesserung der von Ihnen beschrieben Situation im Ansatz stecken blieben? Ich hatte gehofft, dass Ihre Kritik konstruktiv, also aufbauend, ausfallen würde. Ich hatte geglaubt, dass Sie Ihren Zuhören einen gangbaren Weg aufzeigen könnten. Doch Ihre Sätze zur Zukunft waren spärlich gesät. Sie ernten viel Beifall, als Sie sagen: „Multi-Kulti ist nicht bunt, Multi-Kulti ist Burka-schwarz.“ Sie wünschen sich außerdem eine bürgerliche Avantgarde. Und Sie erwähnen Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Diese Rettung sei die AfD, sagten Sie. Und was solle man retten? Freiheit und Patriotismus. Mit Verlaub, Herr Renner, ich fühle mich nicht unfrei – im Gegenteil. Und ob Patriotismus die Probleme in Deutschland, in Europa, auf der Welt lösen kann, bezweifle ich. Mir kam kurz der Gedanke, dass diejenigen, die sich auf Ihrer Seite glauben, auch glauben, sich gegen etwas abgrenzen und damit ausgrenzen zu müssen: gegen das vermeintlich Unbekannte und Fremde. Was wegen politisch gezogener Grenzen in den letzten Jahrtausenden angerichtet wurde, wissen wir.

Was habe ich gelernt an diesem Abend? Zumindest, dass ich die Menschen, die Ihnen zuhören, sehr ernst nehmen will. Es sind Menschen, die hier am Niederrhein zu Hause sind, die zur Kirche gehen, die sich zum Kegeln verabreden, die samstags ihre Hecke schneiden. Und möglicherweise früher mal die CDU gewählt haben. So wie die meisten hier in unserer Heimat.

Nur, Ihrer Sichtweise folgen kann ich nicht. Sie und ich, wir haben offensichtlich ein völlig unterschiedliches Bild der Welt. Sie möchten Deutschlands Souveränität zurück, die die Weltbürgerin und Kanzlerin Angela Merkel teilweise abgegeben habe. Ich dagegen glaube, dass die Staaten in Europa und in der Welt nur miteinander zu Lösungen kommen können. Da ist das Beharren auf dem „Deutschen“ fehl am Platz.

Sollte unser Weltbild dagegen nicht geprägt sein von Toleranz (obwohl ich weiß, dass Toleranz ihre Grenzen haben muss), Respekt und Miteinander – und von Solidarität? Ist es nicht so, dass wir nicht deutsche, sondern bald globale Probleme lösen müssen? Von Klima- und Umweltschutz und vom Tierschutz, von der Hilfsbereitschaft gegenüber dem Schwächeren haben Sie nicht gesprochen. Dabei geht es genau darum. In naher Zukunft werden sich Millionen von Menschen auf den Weg machen, um ihre Lebenssituationen zu verbessern. Nicht nur, weil sie Krieg erleben müssen.

Ein aufschlussreicher Abend, mit Sicherheit. Wie die AfD die Zukunft möglich machen will, habe ich aus Ihrem Vortrag nicht herausgehört. Vielleicht können wir zusammen mal eine Hecke schneiden. Mehr wird nicht drin sein. Mein Gehör haben Sie, meine Stimme nicht.

(StadtSpiegel)