Viersen kämpft ums Stadtarchiv

Die Viersener schätzen die bürgernahe Ausrichtung und die „kurzen Wege“ im Stadtarchiv, vor allem, wenn Hilfe in Sachen Familien- oder Heimatforschung vonnöten ist. Jetzt geht es um die Zukunft der Einrichtung.

Das Viersener Stadtarchiv zählte allein im vergangenen Jahr 1 000 Besucher - Tendenz steigend. Wer eine Frage hat, findet hier schnell und unbürokratisch Hilfe, vor allem die vielen ehrenamtlich tätigen Autoren, die sich oft und gerne mit den Urkunden, Akten und sonstigen Archivalien beschäftigen. Über 200 Publikationen seit 1990 sprechen für sich.

Und trotzdem könnte das Stadtarchiv Viersen bald Geschichte sein, sprich seine Eigenständigkeit aufgeben müssen. Hintergrund ist die Diskussion um einen neuen Standort für das Archiv des Kreises Viersen, das derzeit noch in der Kempener Burg beheimatet ist. Das alte Gemäuer ist marode und müsste aufwendig saniert werden, außerdem ist dort viel zu wenig Platz für die umfangreichen Bestände der Kreisverwaltung sowie von sieben der neun kreisangehörigen Städte und Gemeinden (neben Viersen verfügt auch noch Willich über ein eigenes Stadtarchiv). Landrat Dr. Andreas Coenen favorisiert einen Neubau des Kreisarchivs, für den er 5,1 Millionen Euro an Fördermitteln erhalten könnte. Mögliche Standorte gibt es gleich mehrere: Grefrath, Kempen, Willich oder eben Viersen. Zudem hat der Kreis noch das Angebot unterbreitet, auch den Viersener Archivbestand mit zu integrieren - vorausgesetzt, die Stadt beteiligt sich mit rund 25 Prozent an den Kosten für den Neubau. Die politische Diskussion ist entbrannt - der städtische Kulturausschuss hat empfohlen, Gespräche mit dem Kreis Viersen zu führen, unter der Prämisse, dass das heutige Leistungsprofil des Stadtarchivs auch im Falle einer Fusion erhalten bliebe. „Ein Trugschluss“, meint Stadtarchivar Marcus Ewers. Ein Kreisarchiv dieser Größenordnung sei nur mit einem erheblichen Maße an Bürokratie zu führen, „mit unserem offenen Kontakt zu Bürgern, Vereinen und Schulklassen ist es dann vorbei“, glaubt Ewers. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Verlassen die Archivalien die Stadt, ist das der Tod unserer Ortsgeschichte.“ Nicht von ungefähr würde sich die Archivberatungsstelle des Landschaftsverbandes Rheinland für kommunal geführte Archive mit Orts- und Bürgernähe aussprechen.

Kritik an der Vorgehensweise des städtischen Kulturausschusses hagelt es von den Mitgliedern des Arbeitskreises Familienforschung: „Eine objektive Beurteilung, was für Viersen die beste kulturelle und wirtschaftlich sinnvollste Lösung ist, findet nicht statt“, sagt Wilhelm Kluß. Weder sei Stadtarchivar Marcus Ewers in der Sache gehört worden, noch würde man scheinbar die LVR-Archivberatungsstelle - wie bereits 2007 geschehen - mit in den Prozess einbinden. Damals ist die ehemalige Turnhalle des alten Humanistischen Gymnasiums nach den Vorgaben der Experten fachgerecht zum Archiv umgebaut worden; noch heute reicht die Raumreserve für mehrere Jahrzehnte.

Ob sich eine Fusion mit dem Kreisarchiv finanziell auszahle, sei ebenfalls fraglich. „Die Kosten für einen Neubau des Kreisarchivs gehen sicher weit über die avisierten 5,1 Millionen Euro Fördergelder hinaus, Viersen müsste also bei einem 25-prozentigen Anteil einen Millionenbetrag aufwenden“, rechnet Kluß vor.

Rückendeckung gibt es von der SPD: „Wir werden den Antrag stellen, eine Expertise der LVR-Archivberatungsstelle einzuholen“, kündigt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Manuel Garcia Limia an. Im Gegensatz zu Viersen seien im Kreisarchiv die Bestände von gleich sieben Kommunen seit 1970 nicht mehr aufgearbeitet worden. „Dort herrscht 46 Jahre Rückstand, diese Versäumnisse muss Viersen im Falle einer Fusion mit bezahlen“, sagt Garcia Limia.

(Report Anzeigenblatt)