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Ein Theaterstück zum Holocaust-Gedenktag

Ein Theaterstück zum Holocaust-Gedenktag

99 Kinder sind zwischen 1940 und 1945 in der Kinderfachabteilung der Rheinprovinz in Schwalmtal-Hostert gestorben. Vernachlässigt, verhungert, zu Tode gequält — nur in wenigen Fällen ließ sich später die Todesursache einwandfrei klären.

Die Kinder waren ihren Eltern weggenommen worden, weil sie behindert waren.
Am Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar, wird alljährlich an das grausame Geschehen erinnert. In Hostert geschieht dies an der Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Kinderfachabteilung, später als "Kent School" genutzt. In diesem Jahr gibt es vorher eine besondere Form des Gedenkens.


Die Europaschule Schwalmtal betreut die Gedenkstätte seit inzwischen 25 Jahren. Durch Spenden — unter anderem vom Bündnis für Familien und des Lionsclubs — konnte für dieses Jahr ein Theaterprojekt für Zehntklässler initiiert werden. Die Aufführung findet um 11.30 Uhr in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in der Waldnieler Heide statt. Anschließend gehen die Teilnehmer gemeinsam zur Gedenkstätte.

Auf den Stufen vor dem Altar liegen liegen Briefe. Briefe von Kindern. Briefe mit der tiefen Sehnsucht danach, jemanden zu haben, der zu ihnen hält.
Sie sind nicht wirklich von den Kindern in der Kinderfachabteilung geschrieben worden. Sondern von den Zehntklässlern der Europaschule. Ihre Aufgabe war es, sich in die Kinder hineinzuversetzen, sich zu überlegen, wie sie eine solche Situation — fern der Familie, mit Qualen, kaum Nahrung und dem allgegenwärtigen Tod erleben würden. Was ihnen dann das wichtigste wäre. Was sie erzählen möchten. Das erklärt Crisha Ohler. Sie ist nicht erstaunt, dass die jungen Menschen es in nur drei Tagen geschafft haben, Material für 32 Szenen zusammenzutragen — und am vierten Tag des Projekts schon lange Passagen auswendig vortragen können. "Weil es das eigene Material ist, ist es möglich, das so schnell einzustudieren", sagt Sjef van der Linden.
In einigen Szenen werden einzelne Worte zusammengetragen. Was bedeutet Familie? Was passiert heute noch an Ausgrenzung? Gerade der aktuelle Bezug lässt die Jugendlichen schaudern. Cyber-Mobbing, Beschimpfungen von Menschen, die anders sind oder anders denken.


Sie alle kennen das Gelände in Hostert, die meisten nicht nur von den Gedenkveranstaltungen ihrer Schule. Viele sind zu anderen Anlässen schon dort gewesen. Jetzt, nachdem sie sich so intensiv mit den Schicksalen auseinander gesetzt haben, seien "die Gedanken dazu ganz andere", sagt Lara.
"Am Anfang hätte ich nicht gedacht, dass wir das so auf die Kette kriegen", sagt Michi. Er wollte zunächst gar nicht selbst auf die Bühne gehen, um die Szenen vor Mitschülern und Fremden zu spielen. Der Gedanke, dass das alles nicht so weit weg sei, sondern seine Großeltern es noch erlebt hätten, beunruhigt ihn. Er, Lukas und Orphe sind sich einig, dass sie auch heute noch immer aufpassen müssen, nicht in einer Gruppe andere auszugrenzen, sondern, wenn so etwas passiere, dagegen zu halten. "Ich sag dann was", ist Orphe sicher. "Hauptsache, es wird keiner gemobbt."

Die Gedanken, die die Schüler in Spielszenen umgesetzt haben, sind bedrückend. Die Mutter, die ihr Kind nach Hause holen möchte. Die Kinder, die fürchten, sterben zu müssen. Der Bestatter, der die toten Kinder zumindest würdig beerdigen möchte. Der Vater, der verzweifelte Opa — sie alle bekommen von den Jugendlichen eine Stimme.
Am Mittwoch, 27. Januar, 11.30 Uhr, ist die Aufführung. Anschließend wollen die Schüler an der Gedenkstätte 99 weiße Luftballons aufsteigen lassen, um an die Kinder, von denen zum Teil noch nicht einmal der Name bekannt ist, zu erinnern.