Eine tickende Leidenschaft

Haben Sie heute schon auf die Uhr geschaut? Na klar, ständig — doch meistens befindet sich diese auf dem Handydisplay oder dem Computerbildschirm. Die traditionelle Uhr wird immer seltener. Nur in Schwalmtal, da tickt es — erst ganz leise und desto näher man an das Haus von Familie Bolten kommt, immer lauter.

"Ticktack, ticktack" — jeder von uns kennt es, das Ticken einer Uhr. Die einen ticken lauter, die anderen ganz leise, der eine mag das Geräusch, ein anderer verflucht es. Doch wohl nur wenige werden das Ticken einer Uhr so gut kennen wie Edmund Bolten. Sein Zuhause ist ein wahres Uhrenparadies. Riesige Standuhren, wunderschön geschnitzte Wanduhren, edle Porzellanuhren und seltene Taschenuhren zieren Regale, Fensterbänke und Tische. In einer Zeit, in der fast jeder auf das Handy oder die Applewatch blickt, sammelt Edmund Bolten die kostbaren und manchmal fast in Vergessenheit geratenen Zeitanzeiger.

So sieht die Wanduhr seines Vaters aus. Mit ihr begann die Sammelleidenschaft.
So sieht die Wanduhr seines Vaters aus. Mit ihr begann die Sammelleidenschaft. Foto: Gina Dollen

Alles beginnt Ende der neunziger Jahre. "Mein Freund Heinz hat auch Uhren gesammelt. Ich fand schon immer, dass das eigentlich ein schönes Hobby ist", berichtet Edmund Bolten. Zu dem Zeitpunkt besaß er bereits die alte Holzwanduhr seines Vaters und eine große Standuhr, die sich seit fast 100 Jahren in Familienbesitz befindet. Auf einem Trödelmarkt entdeckt er durch Zufall eine weitere Wanduhr, die ihm besonders gut gefällt. Durch die Schwärmerei von, wie er ihn gerne nennt, "Uhrenverführer" Heinz, greift Edmund Bolten zu. So wandert die erste "Trödelmarktuhr" in seinen Besitz. Mit der Zeit und jeder weiteren Uhr, die ihren Weg ins Haus findet, entsteht eine Sammelleidenschaft, die größer kaum sein könnte.

Heute, knapp 20 Jahre später, "tickt" quasi das ganze Haus. In jeder Ecke steht oder hängt eine Uhr. Alle aus verschiedenen Materialien, Epochen und Ecken der Erde. Die Geräuschkulisse ist anfangs nahezu ohrenbetäubend, ist man nicht an das immer stetige Fortwandern der Zeiger gewöhnt. "Wir hören das schon gar nicht mehr", sagen Edmund Bolten und seine Frau Kornelia lachend. "Nur wenn eine Uhr nicht schlägt, das höre ich", erklärt er und prompt läutet es aus allen Ecken zur vollen Stunde.

Beim Rundgang durch das Haus, kann Edmund Bolten zu jeder Uhr etwas sagen. Jedes kleine Detail, woher sie kommt, wie das Ziffernblatt aufgebaut ist oder was die Zierfiguren bedeuten, kennt er. Dieses Wissen hat er sich über die Jahre angeeignet, "learning by doing" wie er sagt. Auch kleinere Reparaturen übernimmt er mittlerweile selbst. Das ein oder andere Exemplar muss aber nach wie vor manchmal zum Profi — und die werden immer seltener. "Es ist wirklich eine Kunst, einen guten Uhrmacher zu finden und Nachwuchs gibt es für diesen Beruf kaum", erklärt er.

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Wie viel ihm an seinen Uhren liegt, zeigt sich besonders Sonntagmorgens. Um punkt 8.30 Uhr beginnt er, jede einzelne Uhr wieder neu aufzuziehen. Genau dann belegt nämlich kein Zeiger die kleinen Löcher, an denen einige der Uhren aufgezogen werden. "Das dauert in der Regel so zwei Stunden", berichtet er mit ein wenig Stolz in der Stimme.

Vorbei an Kordel-, Pendel-und Stuhluhren geht es durch das Haus. Edmund Bolten erklärt genau, was es zu bedeuten hat, wenn der Reiter an der holländischen Stuhluhr nach links oder rechts reitet und warum mal ein Mensch und mal ein Affe den Sternenhimmel über dem Ziffernblatt in den Händen hält."Die Westminsteruhr hier schlägt jede viertel Stunde und hat einen ganz besonders schönen Klang", erklärt der Sammler als er die Treppe ins obere Stockwerk betritt. Dort oben befindet sich die wohl wertvollste Uhr seiner Sammlung. Nicht, weil sie so teuer ist, sondern aufgrund ihrer Bedeutung.

Auf einer Kommode im Arbeitszimmer steht sie. Die Art von Uhr kennt man, es ist eine sogenannte "Lebensuhr" mit einem Quarzwerk. Unter dem Ziffernblatt ziehen die Kugeln am Drehpendel ganz gleichmäßig ihre Kreise. "Diese Uhr hat schon immer genau hier auf diesem Schrank gestanden und ist auch immer zuverlässig gelaufen", beginnt Edmund Bolten. "Als mein Vater starb, hörte auch die Uhr plötzlich auf zu laufen. Drei Tage lang stand sie, niemand konnte sie wieder zum Laufen bringen. Dann plötzlich, ohne das jemand etwas getan hat, lief sie ganz selbstverständlich weiter." "Aberglaube", wird jetzt der ein oder andere denken, oder: "Nur ein Zufall." Doch als einige Jahre später, die Uhr hatte nie wieder aufgehört zu laufen, seine Mutter starb, stoppte sie erneut — genau für drei Tage.
Nach wie vor finden immer neue Uhren einen Platz im Haus der Boltens. "Ich kaufe und meine Frau schaut, wo sie am besten hinpasst", erklärt Edmund Bolten lachend. "Nur manchmal kommt es vor, dass sie mich ermahnende anschaut und sagt ,dafür haben wir jetzt wirklich keinen Platz mehr'." Viele Uhren findet er auf Trödelmärkten, andere durch Zufälle. Einige bekommt er auch von Leuten geschenkt, die wissen, dass er die Uhr in Ehren halten wird.

Am Ende der Haustour angekommen, öffnet er vorsichtig eine Glasvitrine. Hinter der Glasscheibe verbergen sich die kleinsten Uhren der Sammlung: Taschen- und Armbanduhren. Bolten greift gezielt zwischen Skeletttaschenuhren und Exemplare aus Russland. "Das hier ist zum Beispiel die Taschenuhr meines Schwiegervaters, oder sehen Sie mal hier, was hinten drauf geprägt ist:" Wilhelm der Zweite von Preußen, 1816 steht da — diese Uhr hat wohl schon einiges gesehen — und genau das macht sie wohl aus, die tickenden Uhrwerke. Richtig behandelt überleben sie Generationen, zeigen zuverlässig, Jahr für Jahr die Uhrzeit an und sammeln Geschichten über vergangene Zeiten.

(StadtSpiegel)