Clever vernetzt mobil sein: Trampen 2.0

Clever vernetzt mobil sein : Trampen 2.0

Wir wissen nicht, wie viele dieser Herrschaften ein "Ticket für alles" haben. Ein Ticket für Bus und Bahn, Car-Sharing oder Leihrad. Wir vermuten eher, dass diese Menschen, die hier gemütlich auf einer Mitfahrerbank sitzen, auf die nächste Mitnahmemöglichkeit in den nahe gelegenen Ort warten.

Wie wir in Zukunft im ländlichen Raum vorwärtskommen können, darüber haben wir mit zwei "Grünen" aus Nettetal — mit Christian Küsters und Guido Gahlings — gesprochen.

 Guido Gahlings, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Nettetaler Stadtrat, und Christian Küsters, Ortsverbandsvorsitzender der Grünen in Nettetal.
Guido Gahlings, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Nettetaler Stadtrat, und Christian Küsters, Ortsverbandsvorsitzender der Grünen in Nettetal. Foto: Uli Rentzsch

Wir spüren es alle: Irgendetwas muss passieren. Staus auf den Autobahnen, viel zu viele Autos auf den Straßen, verspätete Züge, Anschluss verpasst, warten, Feinstaub in den großen Städten. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?

Die zweite Fortschreibung des Nahverkehrsplans für den Kreis Viersen ist beschlossene Sache. Am Donnerstag, 18. Januar, stimmte der Kreistag einstimmig den vorgeschlagenen Änderungen zu. Sicherlich ein Weg in die richtige Richtung — und doch bleibt das hartnäckige Gefühl, dass weitere Maßnahmen nötig sind, den Verkehr auf Schiene und Straße zu entlasten. Und damit unser aller Wohlbefinden zu fördern.

Wenn der öffentliche Personennahverkehr, der ÖPNV, attraktiv sein soll, sind dann Preiserhöhung nicht völlig kontraproduktiv?
Christian Küsters: Die jährliche Preiserhöhung beim VRR liegt bei etwa drei Prozent. Der ÖPNV ist unterfinanziert. Die Kommunen wollen immer weniger dazu beitragen, dieses Defizit auszugleichen.

Die Grünen hatten ein so genanntes Zwei-Euro-Ticket in die Diskussion gebracht.
Christian Küsters: Das war ein Thema im Landtagswahlkampf. Mit 60 Euro im Monat in ganz NRW mobil sein, das war vor allem ein Argument, um die Ballungszentren zu stärken. Im ländlichen Raum gibt es sicherlich andere Herausforderungen.

Welche?
Christian Küsters: Hier müsste das Angebot grundsätzlich verbessert werden, bevor man darüber nachdenkt, ein kostengünstiges Ticket anzubieten.
Guido Gahlings: Ein weiterer Punkt für die Einführung des Ein-Euro-Ticktes war, das Zuständigkeits- und PreisWirr-Warr der verschiedenen Verkehrsverbünde in NRW zu beenden.

Wie sollte das finanziert werden?
Guido Gahlings: Ein hoher Zuschuss aus dem Landeshaushalt wäre nötig gewesen, das ist klar. Aber wenn wir umweltfreundliche Mobilität haben wollen, müssen wir auch Finanzen umsteuern.
Christian Küsters: Die Regionalisierungsmittel, die der Bund für den ÖPNV zur Verfügung stellt, sollen für NRW erhöht werden. Diese Mittel waren in das Konzept der Grünen eingerechnet. Eine Umsetzung ist aber nicht möglich, weil die Grünen nicht in der Landesregierung beteiligt sind.

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Gehen wir doch einmal ins Praktische.
Christian Küsters: Ich arbeite in Essen. Theoretisch passt alles prima. Mit dem Rad fahre ich zum Breyeller Bahnhof, stelle das Fahrrad ab, steige in den RE 13, fahre bis Viersen, steige direkt aufs andere Gleis um, der RE 42 fährt bis Essen Hauptbahn, von dort habe ich noch fünf Minuten bis zu meiner Arbeitsstelle. In der Praxis habe ich schon am Breyeller Bahnhof ein mulmiges Gefühl, wenn ich das Rad abstelle. Der RE 13 verkehrt stündlich, wenn mal ein Zug ausfällt, warte ich eine Stunde. Die Umsteigezeit in Viersen ist knapp berechnet. Auch auf dem Rückweg ist der Umstieg in Viersen ein Thema.

Wo muss man jetzt anpacken?
Guido Gahlings: Bei der Fortschreibung des Nahverkehrsplanes ging es in erster Linie um den Busverkehr. Da hat sich in Teilen einiges verbessert. Neue Buslinien, verbesserte Taktung oder Nachtlinien sind da beispielhaft zu nennen. Gut wäre jetzt, den Bahnhof Breyell als ÖPNV-Knotenpunkt einzurichten. Bislang fehlt aber eine Anbindung an eine Buslinie. Das geht nur über die seit den 1990er Jahre angedachte Querspange (Anm. d. Red.: Umgehung des Breyeller Ortskerns mit Anbindung an den Bahnhof) kommt nicht voran ...
Christian Küsters: ... müsste aber parallel zum zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke Dülken/ Kaldenkirchen geplant werden.

Das sind mittelfristige oder sogar langfristige Planungen. Was geht sofort?
Guido Gahlings: Bleiben wir am Breyeller Bahnhof. Ein Defizit liegt in der Informationsstruktur. Es gibt keine Hinweistafeln auf den jeweiligen Ortskern oder weitere Verknüpfungspunkte. So geht letztendlich die Attraktivität verloren, die Bahn zu nutzen. Wie soll man wissen, wie man beispielsweise in ein Hotel in einem anderen Ortsteil kommen kann?

Der Bahnhof ist doch jüngst angenehm ausgebaut worden.
Guido Gahlings: Darüber freuen wir uns natürlich. Aber wo sind die abschließbaren Fahrradboxen? Für uns ist das eine Möglichkeit, kurzfristig eine Verbesserung zu erzielen. In Viersen ist der Bedarf viel größer als das Angebot. Der Weg über VRR-Fördermittel und Nachweise zur Nutzung ist zäh. Wir haben eine Variante recherchiert, die privat zu realisieren ist.
Christian Küsters: Die Fahrradbox wäre dann zu einem attraktiven Preis zu mieten. Aber wir haben auch genau so von dem Wunsch gehört, Ladestationen für E-Autos an den Bahnhöfen aufzustellen.

Fassen wir kurz zusammen: attraktive Preise, bessere Taktung von Bussen, bessere Infrastruktur an Bahnhöfen und Haltestellen.
Christian Küsters: Moment. Es kann sein, dass der Preis für das Monatsticket weitaus günstiger ist als die Kosten für das Auto. Man muss es für sich selbst ausrechnen.

Aber die Zeit ...
Christian Küsters: Wenn ich im Auto sitze, muss ich mich auf den Verkehr konzentrieren. Im Bus oder in der Bahn habe ich doch im digitalen Zeitalter ganz andere Möglichkeiten.

Was kann der Bürger tun?
Guido Gahlings: Da fällt mir natürlich das Car-Sharing ein. In den Großstädten klappt das schon gut. Eine tolle Idee sind E-Lasten-Fahrräder — vielleicht für Handwerker interessant, wenn sie innerstädtische Aufträge erledigen müssen.
Christian Küsters: Für den Kreis Viersen gibt es ein Pendlerportal (www.pendlerportal.de), wo sich Pendler vernetzen und Mitnahmemöglichkeiten organisieren. In Wankum gibt es eine Mitfahrerbank. Wer mit dem Auto vorbei kommt, nimmt den Wartenden bis zum nächsten Ort mit. Trampen 2.0 sozusagen. In den meisten Fällen kenne ich die Leute, die ich mitnehmen möchte. Sie kommen aus meiner Nachbarschaft.
Guido Gahlings: Damit wird auch das soziale Zusammenleben gestärkt: soziale Interaktion über die Mobilität.
Eine weitere Möglichkeit wäre ein Bürgerbus. Solch ein Projekt kann man jedoch nicht von "oben" verordnen. Das Engagement kommt aus der Bürgerschaft. Da ist Freiwilligkeit, sprich: Ehrenamt gefragt.
Christian Küsters: Für den Bürgerbus braucht es einen Anstoß. Noch sieht man die Notwendigkeit nicht, das eigene Auto stehen zu lassen. Wenn ein Bürgerbus installiert werden soll, gibt es jede Menge Unterstützung, auch finanzieller Art in Form einer Förderung. Aber es müssen sich Bürger finden, die einen Verein gründen und auch die Fahrleistung zur Verfügung zu stellen. Ein Bürgerbus wäre sicherlich attraktiver als das Anruf-Sammeltaxi, weil man dann einen Fahrplan hinbekommen würde. In Schwalmtal ist solch ein Bürgerbus sehr gut etabliert. Es braucht allerdings das Ehrenamt aus der Bürgerschaft. Wir sind gerne Ansprechpartner, um das Projekt Bürgerbus anzustoßen.