1. Willich

Nach den Festspielen schlägt die Uhr im Schloss wieder.

Uhrwerk im Schloss Neersen : Die Weule schlägt wieder

Das alte Schätzchen im Turm des Schloss-Vorwerks ist wieder in Gang und Klang gesetzt worden.

Schloss-Hausmeister Dirk Winkelmann, ohnehin von Statur und Muskelausstattung keiner der Schmächtigen im Lande, muss sich auch künftig um ein regelmäßiges Training seiner Armmuskulatur keine Gedanken machen: Ab sofort muss er die Uhr wieder „aufziehen“. Freilich kein fragiles Modellchen am Armgelenk, sondern die massive Turmuhr im Schlossvorwerk: Die Weule – tut‘s wieder. Und „schuld“ daran ist Uhrmachermeister Lucas Stevens, der Profession ebenso wie Passion für alte Uhren von seinem Vater Heinrich, der zum großen Bedauern nicht nur vieler Anrather im März einem Krebsleiden erlag, „geerbt“ hat: Stevens also hat das alte Schmuckstück im Vorwerk wieder in Schuss gebracht. Und ans Laufen. Und in Klang. Denn neben der wirklich u(h)ralten Turmuhr im Schloss-Vorwerk wurde auch das nicht ganz so alte Schlagwerk wieder zu neuem Leben erweckt.

Doch der Reihe nach: Das Uhrwerk im Schlossturm ist ein Besonderes, nämlich eine „Weule“ – so etwas wie der „Benz unter den Uhren“. Dank und Respekt an Fabrikant Gustav Klemme, der seinerzeit Neersener Schlossherr war und 1896 die baupolizeiliche Genehmigung zum Wiederaufbau von Schloss Neersen bekam – nach dem verheerenden Brand von 1859 hatte dies bestenfalls nur noch ruinösen Charme. Irgendwann um die Jahrhundertwende muss dem Herrn Fabrikanten dann der Sinn nach einer Uhr gestanden haben. Nach einer schönen, gut funktionierenden Uhr. Klemme griff tief in die Tasche – analog zum besternten Automobil war die Weule seinerzeit auch nicht unbedingt ein Schnapper - und wählte außerdem als Standort für die Uhr nicht etwa das dreieckige Tympanon im Mittelbau-Zenit des Schlosses, sondern das ehemals zum Vorwerk gehörende Torgebäude. Und da ist sie noch heute zuhause.

Den Auftrag für die Herstellung der Uhr erhielt also die renommierte Turmuhrenfabrik und Glockengießerei J. F. Weule in Bockenem im Harz, die sich schon seit 1826 durch Qualitätsarbeit einen Namen gemacht hatte. Das vor allem durch die seinerzeit bahnbrechende Weiterentwicklung der Mechanik vom täglichen zum wöchentlichen Aufzug: Weul‘sche Turmuhren und Glockenspiele wurden damals tatsächlich in alle Kontinente der Welt geliefert. Und „Globalplayer“ Weule lieferte kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende eben auch - nach Neersen.

Warum sich Klemme, so Willichs Stadtarchivar Udo Holzenthal, damals für die Weule entschieden hat, ist nicht überliefert: „Vielleicht“ vermutet Holzenthal, „hatte er einen Tipp vom Willicher Pfarrer bekommen, weil auch die damals neu errichtete Pfarrkirche St. Katharina 1900 mit einer Turmuhr von Weule ausgestattet worden war.“

Zur Konstruktion: Das Schätzchen im Dach des Torgebäudes – im gusseisernen Rahmen ist gülden „J. F. Weule, Bockenem 1903“ vermerkt - steuert über zwei lange Verbindungsstangen die beiden Zifferblätter auf beiden Seiten des Turms. Die massiven Gewichte der Uhr verschwinden durch den Holzboden im „Basement“ und müssen mittels massiver Kurbel über Umlenkrollen wöchentlich „geliftet“ werden – wobei dann besagter Schlosshausmeister Winkelmann ins durchaus schweißtreibende Spiel kommt, der regelmäßig für bleibende Unruh sorgt. Nix für Hänflinge. 1934 gab es dann noch Zuwachs: Der neue „Schlossherr“ Emil Crous ließ ein sogenanntes „Westminster-Schlagwerk“ anbauen, das die Glocken auf dem Dach des Turms lieblich erklingen ließ: Zu jeder Viertelstunde wehte fortan ein Hauch Londons durch Neersen. Man konnte sich des ungemein charakteristischen Big-Ben-Schlags erfreuen. Und kann es jetzt wieder: Denn nachdem einmal mehr der Zahn der Zeit – wie ungemein passend – an der Uhr genagt hatte, ist das komplette Gerät dank Lucas Stevens jetzt wieder topfit. Zuletzt hatte der Rost unter anderem an den Zeigerwerken zugeschlagen, alles musste demontiert und repariert werden. Zahnräder wurden neu justiert, teilweise neu aus Metall gedreht, Umlenk-Rollen neu gesetzt, die Verdrahtung erneuert, alles geschmiert werden, wieder eingebaut, genau justiert… Zuletzt hatte das Schlagwerk wenig Neigung gezeigt, viertelstündlich zu westminstern, und die Uhr selbst zeigte im Lauf der Zeit so ziemlich alles an, nur nicht die richtige Zeit. Jetzt ist dank Stevens und Team (und der Bereitschaft des Geschäftsbereichs Objekt- und Wohnungsbau, alles zu finanzieren) alles wieder gut in Gang. Testläufe verliefen auch klanglich erfolgreich.

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Noch freilich ruht das Schlagwerk, um die Festspiele nicht viertelstündlich westminstermäßig zu untermalen. Aber nach den Festspielen wird Winkelmann, von Meister Stevens genau unterwiesen, auch das Schlagwerk wieder zu entriegeln – und dann können sich Besucher und Passanten wieder viertelstündlich am Westminster-Klang der Weule erfreuen: 120 Jahre, und kein bisschen leise…