Wo Träume noch wahr werden

Wo Träume noch wahr werden

Durch Städte in ganz Deutschland reisen, mit Menschen aus aller Welt zusammenleben und seine Leidenschaft zum Beruf machen: Die Vision von einem Leben im Zirkus fasziniert die Menschen schon seit Jahrzehnten.

Wie vielfältig dieser Traum noch heute gelebt wird, zeigt ein Blick hinter die Kulissen der Jubiläumsshow des Circus Roncalli.

Es ist Mittwoch, 14 Uhr und nach langer Zeit endlich mal wieder blauer Himmel und strahlender Sonnenschein in Mönchengladbach. Die Frühlingswärme genießend, sitzen auf den roten Treppenstufen der nostalgischen Wagen des Circus Roncalli drei Artisten und ein Schlagzeuger und trommeln sich — noch in einfachen Jeans und T-Shirts — zusammen warm. Dafür, dass in dem benachbarten und malerisch bunten Zirkuszelt in eineinhalb Stunden wieder hunderte Besucher sitzen werden, um das Gesamtkunstwerk Roncalli zu bestaunen, herrscht auf der grünen Wiese hinter dem Zelt eine überraschend entspannte Atmosphäre. Gut gelaunt und voller Energie gehen die 120 Mitarbeiter Roncallis aus 22 Nationen rundherum ihren Aufgaben nach. Alle hier strahlen aus, dass sie das, was sie tun, lieben, sind fest angestellt und damit in jeder Stadt, in der der Zirkus zu Gast ist, mit dabei.

Während der sonst eher ruhige Marco Antonio Vega aus Mexiko zusammen mit seinem gleichnamigen Vater in einem kleinen, hölzernen Wagen sitzt und sich nach und nach mit Schminke in den frechen und lebenslustigen Clown Chisterrin verwandelt, machen sich ein paar Wagen weiter die Frauen des Zirkustheaters Bingo aus der Ukraine für ihren großen Auftritt fertig. Kostüme, wie sie bunter und schillernder nicht sein könnten, Mengen an Make-up und Haarstyling-Produkte liegen überall vor dem meterlangen Spiegel verteilt, vor dem Vica Velychko nun konzentriert ihren pinken Lippenstift aufträgt. Zwei Stunden dauert es, bis die Artistin, die schon im Kindergarten angefangen hat zu trainieren und nun in der zweiten Saison für Roncalli arbeitet, ihr Make-up vollendet und ihre blonden Haare mit viel Haarspray in der Mitte aufgetürmt hat. Was sie an ihrem Beruf am meisten liebt? "Die Aufmerksamkeit und die Möglichkeit, Leute glücklich machen zu können." Gegen die vor manchen Shows immer noch vorhandene Aufregung helfen dabei gemeinsame Rituale, wie das Aufeinanderlegen der Hände der acht Mitglieder starken Zirkusgruppe.

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In einem weiteren kleinen, mit persönlichen Bildern und einem Kalender dekorierten Wagen, gibt derweil Paolo Casanova alias Carillon seiner Gesichtsschminke mit dem Aufsetzen der roten Nase und einer Maske den letzten Schliff. Der sympathische Italiener ist Clown durch und durch, wie auch sein T-Shirt mit der Aufschrift "I am Clown" beweist. Das vom viktorianischen Zeitalter inspirierte Kostüm, in das er gleich schlüpfen wird, um das Publikum mit auf eine Reise durch Raum und Zeit zu führen, hat seine Frau genäht. Paolo Casanova sprüht nur so vor Ideen und zeigt auf seinem Handy sofort stolz mehrere weitere Nummern, an denen er gerade arbeitet. Begeistert von Technik und Antiquitäten, hat er seine ausgefallenen Requisiten mit vielen kleinen, auf Trödelmärkten gekauften, Teilen selbst mit viel Liebe zusammengestellt.

Zu den Stars der Roncalli-Welt zählen jedoch nicht nur die Akteure auf der Bühne, sondern natürlich auch die, die im Hintergrund für einen reibungslosen Ablauf und eine perfekte Stimmung sorgen. Während sich um 15 Uhr die ersten Clowns und Artisten versammeln, um die Zuschauer schon am Eingang in ihren Kostümen zu begrüßen, spielen sich oben in der Manege Schlagzeuger Romain Vicente und Bassist Manolo Cuesta-Morena des Roncalli Royal Orchesters für die Show ein. Christopher Spindler, Lichtoperator im Zirkus und damit verantwortlich dafür, dass die Lichtkegel der Scheinwerfer die Künstler im richtigen Moment gekonnt in Szene setzen, überprüft noch einmal alle Regler an seinem Pult. Im historischen "Café des Artistes" versorgt unterdessen Hamza Benini aus Mailand seine Gäste mit Kaffee und Speisen. Jetzt noch schick in schwarz-weiß gekleidet und mit Weste und Krawatte, träumt er davon, bald vielleicht selbst mit einer Clown-Nummer auftreten zu dürfen. Gleich nebenan sorgt Janek Bilas aus Polen seit mittlerweile 23 Jahren für exzellente Sauberkeit. Der 71-Jährige ist unter anderem für Gas, Heizung und Platzreinigung zuständig, sein ganzer Stolz ist aber der Toilettenwagen, der von innen mit Palmblättern und Papageien verziert ist. "Ich könnte eigentlich schon lange in Rente gehen", erzählt Bilas. "Aber die Arbeit hier hält mich fit".

15.30 Uhr: die Show beginnt. Fulgensi Mestres aus Spanien betritt als Weißclown Gensi die Manege und eröffnet mit den Worten "Werden Sie Kind, werden Sie Clown" die Vorstellung. Hinter der Bühne können die Mitarbeiter die Show von einem Bildschirm aus live verfolgen und auf diese Weise sehen, wann sie durch zwei schwarze Vorhänge hindurch in die Manege treten müssen. Geht man ein paar Schritte weiter hinaus ins Grüne, sieht man zwei Bänke, die von den Künstlern zum Herunterkommen und gemeinsamen Erzählen und Herumalbern zwischen den Auftritten genutzt werden. Auf einer dieser Bänke sitzt auch Robert Wicke. Der preisgekrönte Comedian fällt durch seine Beatbox-Künste und die besondere Interaktion mit dem Publikum auf und setzt vor seinen Auftritten vor allem auf Entspannung: "Da ich viel mit dem Publikum mache und man so nie genau weiß, was passiert, ist es meine Hauptaufgabe fokussiert zu sein und einen möglichst leeren Kopf zu haben. Deshalb gehe ich vor der Show immer ein paar Bewegungsabläufe durch", sagt Wicke, "das ist dann wie Meditation für mich". Durch seine Liebe zum Longboard-Fahren gefällt ihm an Mönchengladbach besonders eines: die Hindenburgstraße. "So lange bergab kann man ja nur selten irgendwo fahren. Mein Ziel ist es, es bis zum Tourende in einer Etappe vom Münster zum Hauptbahnhof zu schaffen", erzählt der Hannoveraner lachend.

Auf der Wiese hinter dem Zelt herrscht weiterhin das bunte Leben. Der Applaus und das Gelächter der Zuschauer dringt zusammen mit Liedern wie "Feeling good" und "Türkischer Marsch" aus der Manege nach draußen. Schneiderin Sophie Plautz bringt mit einer Fusselrolle noch schnell das Kostüm Chisterrins auf Hochglanz, und Pferdepfleger Bogdan Papuc striegelt und verwöhnt die Pferde Karl Trunks, während zwischen den Wagen fröhlich die Kinder der Artisten spielen.

Nach dem großen Finale um kurz nach 18 Uhr ist die erste Vorstellung des Tages geschafft. In der Dämmerung haben die tausenden Glühbirnen am Zirkuszelt langsam zu leuchten begonnen. Wieder in Alltagskleidung, planen die Clowns, Artisten und Mitarbeiter, was sie am Abend nach der zweiten Show gemeinsam unternehmen wollen. "Wir sind wie eine große, glückliche Familie hier", bringt es Lichtoperator Christopher Spindler auf den Punkt. Wer möchte da nicht gerne mitreisen!

(Report Anzeigenblatt)