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: „Eine schlechte Opferkultur“

: „Eine schlechte Opferkultur“

Bürokratie statt Mitgefühl – so erleben ehemalige Heimkinder oft deutsche Gerechtigkeit: Auf Einladung des Vereins Ehemalige Heimkinder NRW waren am Dienstag Landespolitiker in Mönchengladbach.

Willkür, sexueller Missbrauch, körperliche und seelische Misshandlungen: Am 19. Juni haben Politiker und Kirchenvertreter im NRW-Landtag ehemalige Heimkinder für erlittenes Leid um Verzeihung gebeten. Trotzdem erfahren die Opfer der so genannten schwarzen Nachkriegs-Pädagogik auch heute noch Respektlosigkeit, müssen Nachweise über ihre Qualen erbringen, werden mit der Pflicht zu detaillierten Schilderungen ihrer Misshandlungen gedemütigt und retraumatisiert. „Eine schlechte Opferkultur“, so Uwe Werner, Vorsitzender, der ersten Community – Ehemalige Heimkinder NRW.

Zum Vereinssitz, Hofstraße 11, waren jetzt Landtagspräsident André Kuper, NRW-Sozialausschussvorsitzende Heike Gebhard, die Landtagsabgeordneten Frank Boss (CDU), Hans-Willi Körfges (SPD) und Andreas Terhaag (FDP) sowie Sozialdezernentin Dörte Schall und Barbara Kanne, Fachreferentin beim Paritätischen NRW, gekommen. Der Verein kämpft dafür, dass erlittenes Unrecht und systematische Menschenrechtsverletzungen in deutschen Kinderheimen der Nachkriegszeit anerkannt werden, dass überlebende Heimkinder materielle Wiedergutmachungen erhalten, eine Rente und Lebens- und Wohnperspektiven bekommen, mit denen sie in Würde altern können.

Viele Vereinsmitglieder waren ebenfalls anwesend, einige hatten sogar den Mut, vor den Zuhörern aus ihrer Kindheit zu erzählen.

Von kirchlichen Heimen, in denen kleine Kinder Fürchterliches erdulden mussten, mangelnder Schulbildung, die eine gute Berufsausbildung unmöglich machte, von körperlicher und seelischer Folter, dem Verbot mit Kindern außerhalb des Heims Umgang zu haben und von den Nachwirkungen, die bis heute ein normales Leben schwierig machen, erzählten die Betroffenen. Kindheit war Horror für die ehemaligen Heimkinder. Und Hilfe sei auch heute noch oft nur ein Lippenbekenntnis, so Uwe Werner. Es könne nicht sein, dass Opfer materielle Entschädigungen aus den beiden Fonds Heimerziehung, die ihnen nach dem Opferentschädigungsgesetz zuständen, mühselig erkämpfen müssten, oft auch noch vergeblich. Allein, dass Antragsteller trotz lückenloser Archivierung beim LVR und LWL sieben bis acht Monate Wartezeit hinnehmen müssten, sei eine Unverschämtheit. „Das ist beschämend für ein Land wie Deutschland“, so Werner.

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Von den Politikern bekam er denn auch vorbehaltlose Zustimmung. „Das Gehörte macht mich fassungslos“, so Landtagspräsident Kuper. Heike Gebhard versprach, sich im Sozialausschuss dafür stark zu machen, dass die Gesetze so flexibel gehandhabt werden können, dass nicht Bürokratie Gerechtigkeit für die Betroffenen verhindere.

„Hier haben ganze Systeme versagt“, so Frank Boss, CDU. Partei übergreifend hatte er mit den Kollegen Hans-Willi Körfges und Andreas Terhaag am Freitag einen Antrag auf Förderung des Gladbacher Vereins gestellt, und obwohl der Antrag noch nicht bewilligt ist, stellte er dem Verein je 65.000 Euro für die nächsten drei Jahre für die laufenden Kosten in Aussicht. „Ich bin stolz, dass es hier nicht um Parteipolitik geht, so Hans-Willi Körfges.

Die Politiker waren sich einig, dass das Land Österreich im Umgang mit ehemaligen Heimkindern deutlich mehr Empathie bewiesen habe. Dort gibt es zum Beispiel ungeachtet des Einzelfalls eine Rente für betroffene Heimkinder. „Wer in so einer Einrichtung war, muss nichts mehr beweisen“, so Körfges.