: Historisches Berlin im Kopf

Susanne Goga gehört längst zu den Großen im Buchgeschäft. „Der Ballhausmörder“ ist das jüngste Werk der Mönchengladbacherin. Der DTV-Krimi um den Ermittler Leo Wechsler spielt in der Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

. Bei der Recherche zu ihren Romanen geht Susanne Goga auch schon mal auf die Knie. Nämlich dann, wenn sie im Wohnzimmer den großen Stadtplan von Berlin ausbreiten muss, „um zum Beispiel auszumessen, wie lange eine meiner Figuren mit dem Fahrrad von da nach dort braucht.“ In solchen Fällen hilft auch schon mal die Lupe. Am Ende gelingt es ihr, das alte Berlin räumlich auferstehen zu lassen.

Gerade ist ihr siebter Roman um den Ermittler Leo Wechsler erschienen: „Der Ballhausmörder“. Und wieder spielt die Handlung in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Genauer im Sommer 1928. Auf der Rückseite des 315-seitigen Taschenbuchs heißt es dazu: Der Witwenball in Clärchens Ballhaus nimmt ein abruptes Ende, als die Garderobiere ermordet aufgefunden wird. Kommissar Leo Wechsler ermittelt in einer Welt aus Charleston, Sekt für 1 Mark und hemmungslosem Amüsement.

Na ja, so hemmungslos geht es in Clärchens Ballhaus nicht zu, relativiert die Rheydterin: „Clärchen war keine Lasterhöhle, auch die einfachen Leute kamen, um ihren Spaß zu haben.“ Clärchens Ballhaus sei übrigens das einzige Berliner Ballhaus, das es seit der Eröffnung bis in unsere Tage durchgängig geschafft hat.

Susanne Goga entführt uns mit dem spannenden Fall in eine Zeit, die es – natürlich – heute nicht mehr gibt. Es muss für uns Heutige eine faszinierende Mischung aus Weltmetropole, nach Kohl riechender Armut, Glanz der Leuchtreklamen und sozialem Umbruch gewesen sein. „Witwenball – ich liebe dieses Wort“, erklärt die Autorin, „dorthin kamen nicht nur Witwen, sondern auch die Frauen, die sich von der Männerwelt ungestört amüsieren wollten.“ Berlin hatte zu der Zeit der Krimihandlung mehr Einwohner als heute. Auf dem Kontinent war es der Anziehungspunkt. Der Stellenwert der Stadt war durchaus mit dem Londons zu vergleichen.

Wer Susanne Goga im Gespräch über ihre Arbeit erlebt, spürt ihre unbändige Freude und Lust am Erzählen. Und die ist gepaart mit möglichst exakter Darstellung der Gegebenheiten. Das beginnt mit den Berliner Stadtplänen, die in ihrem Besitz sind, dazu gehört die mittlerweile umfangreiche Bibliothek mit Büchern aus und zu der Berliner Zeit, etwa Festschriften, aber auch die Recherche im Internet. Wobei der eigene Blick auf die historische Situation unerlässlich ist. Der allerdings nicht immer leicht ist: „Leider gibt es das Polizeipräsidium nicht mehr, in dem ein großer Teil meiner Handlung spielt, da ist dann meine Fantasie gefragt. Das war damals ein ganzer Straßenblock. An der Stelle steht heute das Einkaufszentrum Alexa.“

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Die Krimihandlung in den Leo Wechsler Romanen lebt auch von der historischen Einzigartigkeit. Es gab damals kein Internet, und die Kriminaltechnik steckte noch in den Kinderschuhen. „Der damalige Polizeipräsident Ernst Gennat ist auch in der Realität erstaunliche Wege gegangen. So wurden zu Fahndungszwecken Beweisstücke auch schon mal in Schaufenstern ausgestellt“, schildert Susanne Goga den zur damaligen Zeit wohl begabtesten Kriminalisten.

Aus Ermangelung von Fernsehbildern „wurden unbekannte Tote in der Berliner Charité gezeigt, weil man sich erhoffte, dass sie erkannt wurden.“

Neben der jeweiligen Krimihandlung erzählt Susanne Goga in ihren Romanen immer auch eine Familiengeschichte. Die Personen entwickeln sich, allen voran der Witwer und zweifache Vater Leo Wechsler. Dabei bekommen die einzelnen Protagonisten nicht in jedem Buch die immer gleiche Aufmerksamkeit. Das schafft nicht nur Interesse an den Figuren – die Stadt und das jeweilige Milieu, das sie beschreiben will, wird dadurch für den Leser plastisch und nachvollziehbar.

Nun wäre Susanne Goga keine Krimiautorin, wenn sie ihren Leserinnen und Lesern nicht auch Schweres zumutete. An dieser Stelle sei nur verraten, dass das Leben von Leo Wechslers Freund Robert Walther eine Wendung gibt, die Schlimmes ahnen lässt. Selbst ihr Agent sei entsetzt gewesen, schmunzelt Susanne Goga.