Vor fast zwei Jahren überfiel die Terrororganisation IS Jussef Muslims Stadt, jetzt ist er in Büderich: Von Toten und Hoffnung

Vor fast zwei Jahren überfiel die Terrororganisation IS Jussef Muslims Stadt, jetzt ist er in Büderich : Von Toten und Hoffnung

Jussef Muslim ist syrischer Flüchtling, der in Büderich an der Cranachstraße untergekommen ist. Er kommt aus einer Stadt kurz vor Kobane – dort wütete die abscheuliche Terrororganisation IS bereits vor fast zwei Jahren.

Dem Extra-Tipp Meerbusch erzählt er seine bedrückende Geschichte.

 Hürriyet Odun mit Jussef Muslim bei einem Kaffee im Büdchen am Büdericher Landsknecht.
Hürriyet Odun mit Jussef Muslim bei einem Kaffee im Büdchen am Büdericher Landsknecht. Foto: Nele/aru

Sein Fuß wippelt auf der Stütze am Barhocker, seine Hand greift nach dem Kaffee, er pustet den Dampf weg. Nach einem warmen Schluck schaut er auf und lächelt. Es ist warm, mild, jetzt spielen seine Finger am Reißverschluss der Jacke herum. „Ich will dir sagen, wie es war“, sagt Jussef. Im Büdchen am Landsknecht hat der 30-Jährige Syrer bei den Inhabern Ali und Hürriyet Odun Freunde in Meerbusch gefunden. Sie sprechen kurdisch, wie er. „Das macht alles leichter“, sagt Ali Odun, übersetzt die Worte des jungen Mannes und nippt an seinem Kaffee. Jussef Muslim stammt aus Gre Spi (TL ABead) – 60 Kilometer vor Kobane. „Gre Spi ist eine kleine Stadt“, sagt Jussef. Er ist einer von neun Kindern. Seine Familie hatte sieben Geschäfte. „Kleidung und technisches Gerät für die Landwirtschaft haben wir verkauft“, sagt er. Er ging allerdings einen anderen Weg. Jussef trinkt wieder einen Schluck Kaffee, sein Bein wippt nicht mehr. „Ich habe drei Jahre lang Jura an der Universität von Alepo studiert, in gut einem Jahr wäre ich fertig gewesen. Anwalt wollte ich werden.“ Doch die Terrororganisation IS hat ihm einen Strich durch den Lebensplan gemacht. An den Tag als es losging, erinnert er sich noch genau: „Es war der 21. Juli 2013.“ Schon länger waren die menschenverachtenden Schlächter rund vier bis fünf Kilometer von Gre Spi entfernt gewesen, aber an diesem Tag kamen sie in die Stadt. „Morgens um 7 Uhr stand einer von ihnen bei uns in der Moschee und verkündete: Wir werden alle Kurden umbringen. Alles was Kurden gehört, gehört ihnen nicht mehr. Das alles gehört jetzt uns.“ Schock. Atemlosigkeit. „Wir versteckten uns, wir wussten ja nicht, was wir machen sollten“, sagt Jussef, seine Augen wirken leicht trüb bei diesen Worten. Auf seinem Handy hat er Bilder aus der Stadt von dem Tag, er zeigt sie: Ein kurdischer Kämpfer, den die Schlächter mit den Füßen an einen Jeep gefesselt haben – und mit ihm durch die Stadt gefahren sind. Bilder, die Tote zeigen. Schreckliche Bilder, Bilder des Bösen. „Da war an dem Tag so viel, ich kann gar nicht alles erzählen.“ Der Islamische Staat hätte an dem Morgen rund 3000 kurdische Männer und zahlreiche Frauen aus Gre Spi und den umliegenden Dörfern gefangen genommen. „Die Frauen kamen, so weit ich weiß, vollständig wieder frei, bei den Männern fehlten nachher 30.“ Die Araber der Stadt hätten sich auf die Seite von IS geschlagen. Gemeinsam mit seiner Familie und Freunden hat sich Jussef an dem Tag in seiner Heimatstadt versteckt – bis zur Dunkelheit. „Dann sind wir über Schleichwege raus.“ Mit zwei Traktoren und einem Pkw konnten sie nach Kobane flüchten. Außer ihrem Leben und der Kleidung am Leib hatten sie nichts dabei. „Meine Schwester lebte dort und noch viele andere Verwandte.“ Ein Jahr konnte die Familie dort bleiben. „Doch dann umzingelte Isis Kobane, die Kämpfer kesselten die Stadt von drei Seiten ein.“ Für Jussef war klar, dass er verschwinden musste. „Meine Brüder zögerten noch, weil sie Kinder haben. Es war ja nicht ganz klar, was passieren würde.“ Jussef aber handelte. „Ich flüchtete rüber in die Türkei nach Urfa.“

Es ist gar nicht lange her, da beherrschte Kobane, einen Katzensprung von der türkischen Grenze entfernt, die Nachrichtensendungen. Eine Stadt, die die Terrororganisation IS erst eingekesselt, dann größtenteils eingenommen, dann wieder verloren hat. Zurückblieb eine braun-graue Trümmerstadt, die nichts mehr Lebenswertes in sich trägt. Jussef atmet einmal laut. „In Urfa blieb ich aber nicht lange.“ Im Büdchen am Landsknecht unterbrechen Kunden das Gespräch, Jussef steht kurz auf, sonnt sich in Meerbusch. Dann geht es weiter: 15 Tage sei er in der Türkei gewesen. „Man weiß ja, dass wir Kurden dort nicht sonderlich beliebt sind.“ Ehemalige Geschäftspartner aus dem Landwirtschafthandel hätten sich um ihn gekümmert. Doch dann begann seine Reise nach Deutschland – in Karlsruhe stellte er seinen Asylantrag. „Dann kam ich nach Dortmund. Von dort ging es noch weiter in zwei andere Städte, bis er schließlich in der Flüchtlingsunterkunft (rund 90 Plätze) in Büderich an der Cranachstraße landete. „Da bin ich jetzt seit vier Monaten.“ Seit er den ersten Kontakt mit Deutschen hatte, kann er nur Gutes über sie berichten. „Alles war so positiv“, übersetzt Ali Odun. Jussef schaut auf sein Handy. Er hat in Meerbusch ein kleines Zimmer, das er sich mit drei anderen Kurden teilt. „Das war sehr nett, sie haben uns vorher gefragt.“ 336 Euro bekommt er im Monat. Davon muss er sich alles Nötige wie Essen und Kleidung kaufen. Den Rhein-Kreis Neuss darf er nicht verlassen, auch arbeiten darf er nicht. Kontakt zu seiner Familie hält er über sein Prepaid-Smartphone. „Ihnen geht es gut, sie sind in der Türkei“, sagt er – und lächelt. Wenn der Krieg vorbei ist, will er auf jeden Fall wieder zurück. „Das ist meine Heimat, das würde doch jeder wollen.“ Er geht wieder vor die Tür, lässt sein Gesicht von den Sonnenstrahlen wärmen. Von Kleiderspenden in Meerbusch für Flüchtlinge habe er noch nichts mitbekommen, auch dass es jetzt kostenloses Wlan geben soll, ist ihm nicht bekannt. „Gelegentlich ist es langweilig“, sagt Jussef. Einmal in der Woche bekommt er Deutschunterricht. Und das ist aktuell auch sein wichtigstes Anliegen: „Ich will noch mehr lernen.“

(Report Anzeigenblatt)