: Ein Gläschen zu viel?

Zum Thema Alkoholkonsum der Deutschen in Zeiten der Corona-Krise haben wir mit Dr. Ralph Marggraf, Ärztlicher Direktor der LVR-Klinik Viersen und Chefarzt im Fachgebiet Abhängigkeitserkrankungen, gesprochen.

Immer wieder ist zu lesen, dass in Zeiten der Corona-Krise und der damit einhergehenden Beschränkungen mehr Alkohol verkauft und konsumiert wird. So hatte etwa der Spiegel berichtet, dass die Gesellschaft für Konsumforschung entsprechende Verkaufszahlen vermeldete. Demnach haben insgesamt 30.000 befragte Haushalte im März ein Drittel mehr Wein gekauft als im gleichen Zeitraum vor einem Jahr. Zu diesem Thema befragten wir Dr. Ralph Marggraf.

Herr Dr. Marggraf, wie ist zu erklären, dass derzeit mehr Alkohol verkauft und daher scheinbar auch mehr konsumiert wird?

Dr. Ralph Marggraf: Einerseits vermutlich einfach dadurch, dass mehr Menschen aufgrund von Kurzarbeit oder Heimarbeit Zeit zu Hause verbringen, weniger Freizeitaktivitäten nachgehen können und dann einfach häufiger Gelegenheit haben, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen.

Es wird aber auf der anderen Seite wohl auch häufiger dazu kommen, dass Menschen durch die coronabedingten Einschränkungen in psychische Belastungssituationen kommen, etwa dadurch, dass soziale Kontakte wegbrechen, und dann vermehrt zum Alkohol greifen, um Sorgen zu betäuben.

Dann gibt es auch noch die Gruppe der Menschen, die bereits vor der Coronakrise Suchtprobleme hatten. Hier ist aufgrund des wesentlich geringer gewordenen Angebots des Hilfesystems – also fehlende Tagesstrukturen oder entlastende Helfergespräche – mit einer Zunahme des Konsums zu rechnen.

Wie hängen generell Krisensituationen und Alkoholkonsum zusammen?

Menschen haben sehr unterschiedliche Fähigkeiten, mit Krisensituationen generell oder mit speziellen Krisensituationen, wie beispielsweise einer Trennung, fertig zu werden. Und so unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Versuche, mit solchen Krisensituationen umzugehen. Teilweise wird dann zum Alkohol gegriffen, weil der in bestimmten Dosierungen bei vielen Menschen eine beruhigende und entspannende Wirkung vermittelt oder auch das Einschlafen erleichtern kann.

Feierabendbierchen nach dem Home-Office, ein paar Gläschen Wein zum „Quarantäne-Telefonat“ mit der besten Freundin – ab wann wird es „gefährlich“?

Gefährlich wird es, wenn eine bestimmte Menge und Häufigkeit des Konsums überschritten wird. In der Fachwelt wird dann vom riskanten Konsum gesprochen. Für den Alkoholkonsum ist man in der Lage, genaue Mengenangaben zu machen. Folgt man den wissenschaftlichen Empfehlungen, so liegt der risikoarme Konsum beim gesunden Mann bei Einhaltung von zwei alkoholfreien Tagen in der Woche bei maximal 24 Gramm Alkohol am Tag, bei gesunden Frauen sogar nur bei der Hälfte. Dies entspricht für den Mann etwas mehr als einer Dose Bier am Tag.

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Ist für Suchtpatienten die derzeitige Situation besonders brenzlig?

Ja, in der Tat. Viele helfende Einrichtungen und Personen wie etwa Suchtberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen mussten ihre Angebote einschränken. Darüber hinaus sind drogenabhängige Patienten betroffen, die aufgrund der Kontaktverbote größere Schwierigkeiten hatten, sich auf ihren üblichen Wegen Drogen zu besorgen. Nicht zu vergessen ist auch, dass viele Suchtpatienten körperliche Begleit- oder Folgeerkrankungen haben oder generell immungeschwächt sind, so dass sie im Falle einer Corona-Infektion besonders gefährdet sind, einen schweren Verlauf zu entwickeln.

Was sind generell Zeichen dafür, dass man eine Abhängigkeit entwickelt hat?

Zeichen der Abhängigkeit sind in den internationalen Krankheitsklassifikationen gut beschrieben. Dazu zählen natürlich körperliche Entzugssymptome wie etwa Zittern, Schwitzen oder Durchfall. Aber auch die Toleranz, also das Phänomen, dass Menschen mit Abhängigkeit sehr große Mengen vertragen können (zum Beispiel zwei Flaschen Schnaps am Tag) oder auch bei hoher Promillezahl noch äußerlich unauffällig bleiben. Wichtig sind aber auch die psychischen Zeichen der Abhängigkeit, also insbesondere Suchtdruck und Kontrollverlust.

Wenn man bei sich selbst oder bei einem Angehörigen eine Sucht bemerkt und feststellt, wie sollte man vorgehen? Wo bekommt man Hilfe?

Wenn man bei sich selber den Verdacht hat, an einer Suchtproblematik zu leiden, sollte man sich zunächst einmal an seinen Hausarzt wenden. Selbstverständlich können Betroffene auch jederzeit die Hilfe der Klinik in Anspruch nehmen. Wir bieten ambulante Beratung und Therapie und insbesondere auch die Möglichkeiten der Entgiftung und der Entzugsbehandlung.

Schwieriger wird es oft, wenn man bei Angehörigen ein Suchtproblem vermutet. Hier muss man ja zunächst einmal die betroffene Person auf das Problem ansprechen, und nicht selten neigen die Betroffenen dazu, das Problem zu negieren oder zu bagatellisieren. Eine Hilfestellung ist aber in der Regel nur dann sinnvoll möglich, wenn der oder die Betroffene eine gewisse Einsicht zeigt und an Therapien auch mitwirkt.

Hat sich das Patientenaufkommen durch die Corona-Pandemie verändert?

Wir haben einen mäßigen Rückgang an Aufnahmen zu verzeichnen. Aktuell stellen wir aber wieder einen Anstieg der Nachfrage fest. Unter Beachtung des Infektionsschutzes werden wir die Belegung aber auch aktiv mit elektiven Patientinnen und Patienten vorsichtig wieder erhöhen.