Plötzlich war alles anders...

Plötzlich war alles anders...

Knapp 35 Meter hoch, dunkelgrau und alles andere als schön, prangt er hinter den Häusern der Familien Kaboth und Knoblauch-Schäl. Statt in die Natur und ihre liebevoll angelegten Gärten, blicken die Familien nun auf einen riesigen Funkmast, nur knapp 140 Meter vom Haus entfernt.

Dass dieser dort gebaut wird, erfuhren die Anwohner erst, als bereits das Betonfundament gegossen war.

"Wir dachten, das wird bestimmt ein Parkplatz für die Jugendherberge", erinnert sich Wolfgang Kaboth. Ende 2016 fingen die Bauarbeiten wie aus dem Nichts an. Kein Bauschild, keine Info. "In solch einem Fall besteht keine Informationspflicht, das ist ein ganz normales Genehmigungsverfahren", begründet Markus Wöhrl, Pressesprecher des Kreis Viersen, die Vorgehensweise. Doch genau dieses Recht hätten sich die Familien gewünscht. "Dann hätte man auch viel früher etwas dagegen tun können oder das Gespräch mit den Verantwortlichen gesucht", sagt Elvie Kaboth.
Auf Nachfrage bei den Baubehörden erfuhr das Paar dann, dass es auch andere mögliche Flächen für den Bau des Funkmastes gegeben hatte. Einige vielen raus, weil sie in einem Naturschutzgebiet lagen, andere, weil die Gemeinde dort ein Baugebiet plant.

So wurde der Funkmast Tag für Tag ein Stück höher und die Anwohner Tag für Tag aufgewühlter und verzweifelter. "Ich habe kaum noch geschlafen, hatte sogar einen Nervenzusammenbruch", berichtet Elvie Kaboth, die das Erlebte nun in einem autobiografischen Roman verarbeitet hat. Auch Nachbarin Gisela Knoblauch-Schäl leidet unter dem Funkmast, der ihren geliebten Garten überschattet. Darüber regte sie sich sogar so sehr auf, dass sie ins Krankenhaus musste.

"Ich darf da nach wie vor gar nicht hinschauen", sagt Gisela Knoblauch-Schäl und blickt traurig am Fenster zum Garten vorbei, dessen Mitte der große Funkmast "schmückt". "Wir schlafen sogar schlechter und wachen öfter in der Nacht auf. Das könnte natürlich an den Strahlungen des Mastes liegen", vermutet ihr Mann Wolfgang Schäl. Außerdem beschäftigt beide Familien der immense Wertverlust, den ihre Häuser durch den Bau des Funkmastes erleiden.
In ihrer Verzweiflung boten die Anwohner der "Deutschen Funkturm GmbH", eine Tochter der deutschen Telekom und die verantwortliche Firma für den Bau, an, die Kosten für den Abbau selbst zu tragen — ohne Erfolg.

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Die beiden Familien entschieden sich zu wehren. Wolfgang Kaboth begann, sich in die Juristik einzulesen. Der erste Eindruck: Aussichtlosigkeit. Doch mit der richtigen Kanzlei an ihrer Seite witterten Sie ein Chance. Vertreter des Kreises Viersen und der deutschen Telekom kamen sogar mit der Richterin zu den Grundstücken der beiden Familien, schauten sich die Situation an. Die Richterin entschied: der Funkmast sei unzumutbar für die Anwohner, einengend und ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Das bedeutete den Sieg vor Gericht.

Doch ein Happy End lässt noch auf sich warten. Die deutsche Funkturm GmbH und der Kreis Viersen haben einen Antrag auf Zulassung der Berufung eingereicht. Jetzt heißt es warten. Die deutsche Funkturm wollte sich aufgrund des laufenden Antrags zum jetzigen Zeitpunkt nicht zum Thema äußern.
Das Erlebte hat Elvie Kaboth in ihrem Roman "Der Schrei aus Stahl" verarbeitet. "Ich habe eigentlich aus Frust heraus angefangen, meine Geschichte aufzuschreiben. Ich wollte irgendwie diesem Ohnmachtsgefühl entkommen", berichtet die Autorin. Als sie die Idee schon fast wieder verwerfen wollte, lasen Freunde und ihr Mann die bisher geschriebenen Kapitel — und waren begeistert. Sie ermutigten Elvie Kaboth weiter zu machen. "Meine Frau hat einfach eine künstlerische Ader. Der Roman ist emotional und leicht verständlich geschrieben", sagt Wolfgang Kaboth stolz.

Mit dem Buch und dem publik machen ihrer Geschichte verfolgt Elvie Kaboth ein ganz besonderes Ziel: "Ich möchte aus der "Soll-Vorschrift" eine "Muss-Vorschrift" machen. Der Bürger muss informiert werden", betont sie. Als sie die Verantwortlichen auf dieses Thema ansprach, bekam sie die Antwort: "es wäre für uns nicht zielführend, Sie vorher zu fragen". "So etwas darf man nicht einfach hinnehmen. Man darf und muss sich wehren. Das heißt nicht, dass ich dafür bin, auf die Barrikaden zu gehen. Aber wenn man wirklich daran glaubt, dass man im Recht ist, dann muss man dafür kämpfen", sagt die Autorin — und möchte damit Menschen, die in ähnlichen Situationen sind, Mut machen.