Ich bin dein und du bist mein

Ich bin dein und du bist mein

Eine Gedenkstätte auf dem Friedhof Hockstein dient als Anlaufpunkt für alle, die keine Möglichkeit haben, an einem Grab um einen lieben Verstorbenen zu trauern.

Besucher, die über den Hocksteiner Friedhof schlendern, entdecken in der Mitte der letzten Reihe ein steinernes Kreuz mit ungewöhnlicher Aufschrift. Auf dem ehemaligen Grabstein, der mit einem geschätzten Alter von mehr als hundert Jahren zu den ältesten des Friedhofs zählt, ist dort, wo eigentlich der Name des Verstorbenen steht, ein Psalm aus dem alttestamentarischen Buch Jesaja zu lesen: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst mir.“ Wie ein meditatives Echo hallt die sich ständig wiederholende Inschrift auf einer Platte in der Mitte der Grabstätte zurück: „Ich bin dein und du bist mein“. Darüber gelegt laufen in hellen Buchstaben unterschiedliche Vornamen in willkürlicher Aufzählung um die steinerne Platte herum. Eine weitere kleine Platte am unteren Ende erklärt, was es mit der Grabstätte auf sich hat. Hier soll für Angehörige, Freunde und Gemeindemitglieder die Möglichkeit geschaffen werden, aller Verstorbenen zu gedenken, deren Asche anonym beigesetzt oder verstreut ist, deren Urne auf See bestattet oder deren Grabstätte aufgegeben wurde, kurz: „deren Grab wir nicht besuchen können“. „Das Bedürfnis der Hinterbliebenen, einen Ort zu haben, zu dem sie gehen können, ist seit jeher sehr groß“, erklärt Pfarrer Michael Schicks die Idee zur Gedenkstätte, die im letzten Frühjahr entstand und durch den Steinbildhauer Werner Jakobs gestalterisch umgesetzt wurde. Dieser beobachtet berufsbedingt ebenfalls seit Jahren den rasanten Wechsel der Bestattungskultur: „Ich hoffe, dass es den Menschen gut tut, hier eine Anlaufstelle zu haben. Dabei darf die Grabstätte jedoch nicht als Wertung verstanden werden, sondern als Einladung.“ Trotzdem bedauern beide den zunehmenden Verfall der Friedhofskultur: „Ein Grab steht ja

auch dafür, dass die Geschichte nach dem Tod eines Menschen weiterwirkt – in Gedanken, Erinnerungen und Gefühlen“, so Pfarrer Michael Schicks. Erinnerungen und Gefühle, die die Besucher der Gedenkstätte, die im letzten Jahr zu Allerheiligen eingesegnet wurde, auch in Form von Kerzen oder Blumen ausdrücken können.

(StadtSpiegel)