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Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs im Gespräch

OB Felix Heinrichs im Interview : „Kontakte mit anderen Menschen fehlen“

Gut 100 Tage ist Felix Heinrichs jetzt im Amt – der Extra-Tipp traf den Oberbürgermeister der Stadt Mönchengladbach zum Interview.

Herr Heinrichs, 100 Tage im Amt als Oberbürgermeister der Stadt Mönchengladbach – wie fühlen Sie sich?

Die Frage kann ich relativ einfach beantworten: gut!

Sie sind also angekommen in Ihrem Amt?

Ja, zumindest zur Hälfte oder zu zwei Dritteln.. Als Oberbürgermeister hat man natürlich mehrere Rollen: Da ist der Verwaltungschef, der gerade viele Prozesse und Menschen kennenlernt. Auch der Typus Krisenmanager ist im Moment gefragt. Was noch nicht so richtig ins Rollen gekommen ist, ist der Repräsentant, der Erste Bürger der Stadt, da durch die Corona-Pandemie nur wenig stattfindet. Das fehlt mir doch sehr, ich bin gerne unter Menschen.

Ist das nicht vielleicht auch ein Vorteil, weil man mehr Zeit für andere Dinge hat?

Stimmt, der Tag ist nicht leerer dadurch. Aber die Kontakte mit anderen Menschen fehlen schon. Es hat ja auch etwas damit zu tun, dass man anderen Dank und Respekt zollt, und das ist im Moment leider auf Briefe, Telefonate oder hin und wieder eine Zoom-Konferenz beschränkt.

Wie beschreiben Sie Ihren Arbeitsstil hier im Rathaus?

Ich versuche sehr kommunikativ, transparent und ehrlich zu sein, aber auch Dinge zu entscheiden.  Viele Mitarbeiter*innen in der Verwaltung kennen sich schon sehr, sehr lange, aber ich hatte ein mehr als herzliches Willkommen, nicht nur hier in der Abtei, sondern insgesamt. Und das gebe ich natürlich gerne zurück.

Welche Erwartungen stellen Sie an sich selber und an Ihre Mitarbeiter*innen?

An mich selber stelle ich die Erwartung, zügig und gründlich, aber trotzdem kreativ zu sein. Und eigentlich erwarte ich das auch von allen anderen. Es ist wichtig, dass wir Sachen nicht liegen lassen und sehr gewissenhaft arbeiten. Wenn wir zum Beispiel eine Baugenehmigung aussprechen, dann muss alles stimmen. Das ist wichtig, denn wenn am Ende die Statik nicht stimmt, bricht das Haus zusammen.

Die große Koalition aus CDU und SPD gibt es nicht mehr, Sie haben jetzt andere politische Partner.  Hat sich der Umgang verändert?

Für mich persönlich ist es eine neue Rolle, weil ich ja nicht mehr Teil einer Mehrheit bin. Als OB muss man mit allen demokratischen Kräften gut arbeiten, und das tue ich auch. Natürlich gibt es einen engen Kontakt zur eigenen Fraktion, zu den Grünen und zur FDP, aber genauso gibt es Gespräche mit der CDU und mit den Linken, um gemeinsam zu schauen, wie wir unsere Stadt weiterentwickeln können. Wenn man versucht, gerade so ein Thema wie den Strukturwandel nur mit einem Teil des Rates voranzubringen, dann werden viele gute Ideen nicht gehört.

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Gab es für Sie ein persönliches Highlight in Ihren ersten 100 Tagen als OB?

Das ist eine gute Frage. Es gab viele, viele Highlights. Auf der menschlichen Ebene sicher, wenn man mit Bürger*innen spricht und ihnen helfen kann. Da gibt es viele kleine Beispiele. Man bekommt einen Brief oder eine E-mail, antwortet und bekommt die Rückmeldung: „Danke, jetzt haben Sie mir echt geholfen.“ Das kostet mich manchmal nur eine Minute tippen, aber es löst etwas bei den Menschen aus.

Sie antworten dann auch persönlich?

Es gibt schon sehr viele Anfragen. Und wir haben tolle Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, die mir sehr viel abnehmen. Einige Fragen, gerade sehr persönliche, beantworte ich gerne selbst. Es freut mich einfach, wenn es uns gelingt, dass wir als Stadtverwaltung die alltäglichen Probleme und Sorgen von Menschen lösen können. Dafür sind wir da.

Auf der thematischen Ebene fand ich es ganz toll, dass es uns gelungen ist, innerhalb kürzester Zeit pünktlich zum 15. Dezember das Impfzentrum an den Start zu bringen. Die nächste Situation hatten wir dann kurz vor Weihnachten, dass am 27. Dezember Impfstart in den Altenheimen sein soll. Dann sitzt man hier mit dem Krisenstab und überlegt, wie man das bewältigen soll. Aber es hat geklappt, und das macht mich stolz.

Die Stadtverwaltung als Problemlöser der Bürger*innen - ist das ein neuer Geist, der durchs Rathaus weht?

Ich nenne mal ein Beispiel: Bei meiner Antrittstour durch die Verwaltung war ich natürlich auch bei der Bauordnung. Das sind die Kolleginnen und Kollegen, die eine Baugenehmigung erteilen oder eben auch nicht. Dort landen nicht immer nur nette Schreiben, sondern auch Beschwerden. Ich habe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meine Haltung erklärt: Ihr handelt nach Recht und Gesetz, und das ist richtig und wichtig. Aber wir müssen rüberbringen, wenn jemanden eine Baugenehmigung nicht bekommt, dass es auch in seinem Interesse ist. Das ist schwierig zu vermitteln, weil jeder natürlich seine Ich-Perspektive hat, aber das Zusammenleben erfordert Regeln und für diese Regeln sind wir als Stadt da. Das machen wir nicht, weil wir jemanden etwas Böses wollen, sondern um dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft funktioniert. Und das endet dann am Ende bei der Frage, ob ich eine Garage bauen darf oder nicht …

Aber es gibt doch meistens auch einen Ermessenspielraum …

Das Ermessen sollte immer so ausgelegt sein, dass es zugunsten unserer Bürger*innen passiert. Häufig gibt es ja auch mehr als nur einen Weg, den man gehen kann. Unsere Aufgabe ist es, ein Stück weit Möglichkeiten aufzuzeigen, und das machen wir sehr gewissenhaft.

Mehr Bürgernähe war in Ihrem Wahlkampf ein großes Thema. Wie sehen hier Ihre Modelle aus?

Es gibt zumindest zwei Züge. Das eine ist, was ich persönlich machen kann. Wir haben mit einer Telefonsprechstunde begonnen, die wir irgendwann, wenn es wieder möglich ist, auch als reale Sprechstunde anbieten möchten. Man kann nicht alle Probleme lösen, aber bei der letzten Telefonsprechstunde war es auch ein Erfolg, den Menschen zu erklären, warum bestimmte Sachen eben nicht funktionieren. Sofern es die Pandemie erlaubt, möchten wir im Sommer auch rausgehen, zum Beispiel über die Wochenmärkte, und dort eine Open-Air-Sprechstunde anbieten. Mir ist es wichtig, nah bei den Leuten zu sein und sich vor Ort ein Bild von den Dingen zu machen. In einem anderen Format rufen wir die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, zu einem Schwerpunktthema Fragen einzureichen. Dazu werden wir ein kurzes Video veröffentlichen, wo ich dann Rede und Antwort stehe. Das steht unter dem Stichwort „Im Dialog mit dem Oberbürgermeister“.

Die zweite Linie, wie wir Bürgerbeteiligung stärken können, steht unter dem Begriff „Smart City“. Für dieses Projekt haben wir hohe Fördergelder bekommen. Einer der ersten Aufträge war die Entwicklung eines Beteiligungskonzeptes, wie wir On- und Offline-Formate miteinander verbinden können. Es gibt gute Ideen gemeinsam mit der Hochschule, wie wir Menschen anders erreichen können. Wie kommen wir an die ganz normalen Leute ran, die auch ihre Stadt mitgestalten wollen und sollen. Wie kommen wir gezielt an Neubürgerinnen und Neubürger ran? Die ziehen ja im Zweifel sehr bewusst nach Mönchengladbach, und das ist ein guter Anlass, ihnen demnächst auch Mitwirkung anbieten zu können.

Was haben Sie in den ersten 100 Tagen schon alles geschafft?

Noch nicht genug (lacht). Es ist sehr erfreulich, dass wir in Sachen Corona viel erreicht haben und jetzt bei einem Inzidenzwert unter 50 liegen. Das ist eine Gemeinschaftsleistung der ganzen Stadt mit vielen Faktoren. Das Impfzentrum funktioniert und in der Wilhelm-Strauß-Straße haben wir die Task Force Corona zusammengezogen. Wir haben auch bereits viele Strukturen in der Verwaltung angepackt und sind viel stärker in Social Media unterwegs. Das sind Sachen, die mir sehr wichtig sind.

Inhaltlich werden wir in den nächsten Wochen verstärkt kommunizieren, wie wir an einer neuen Zentrenstrategie arbeiten können. Es geht nicht mehr allein darum, Leerstand mit neuen Händlern zu füllen, sondern die Innenstädte so attraktiv zu gestalten, dass sich auch junge Menschen gerne dort aufhalten möchten. Strukturwandel ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Wir haben es geschafft, unsere Projekte ein Stück weiter voranzubringen, etwa den Wissenscampus. Was auch gut gelungen ist, dass wir bei Themen wie zum Beispiel dem ZOB (Zentraler Omnibus Bahnhof) jetzt eine breite politische Mehrheit haben.

Jüngst wurden die Ergebnisse der Umfrage Vitale Innenstädte präsentiert. Die Ergebnisse haben sich in den vergangenen zwei Jahren kaum verändert. Hat man damals nichts angepackt?

Was sich durchaus positiv verändert hat, ist die Wahl des Verkehrsmittels. Wir haben annähernd doppelt so viele Menschen, die mit dem Fahrrad in die Innenstadt kommen. Bei vielen Dingen haben wir das Niveau halten können. Das zeigt zwar keine Entwicklung nach oben, aber bei den aktuellen Problemen in den Innenstädten, ist das schon ein Riesenerfolg. Die zentrale Frage ist, wie wir es schaffen, dass sich das Bild, was wir von unseren Innenstädten haben, verändert.

Was heißt das?

Wir müssen mit Bildern im Kopf aus der Vergangenheit aufräumen. Wenn wir Zukunft gestalten wollen, müssen wir akzeptieren, dass diese Zukunft komplett anders aussehen wird. Wir müssen uns ein neues Bild suchen, dieses als gemeinsames Ziel definieren und daraufhin arbeiten. Mir ist wichtig, dass wir auch wesentlich mehr an der Attraktivität arbeiten, und zwar mit den Menschen vor Ort. Wenn ich glaube, durch Städtebau mache ich alles schick und dann kommen die ganzen Leute aus Düsseldorf hier rüber, dann wird das nicht klappen. Und das wäre auch nicht gesund. Wir müssen eine Stadt schaffen, die für die Menschen gemacht ist, die hier leben.

Ist das eine der Aufgaben, die Sie gerade am meisten fordert? Sie sind ja mit einer enormen Erwartungshaltung der Bürger*innen angetreten.

Wichtig ist, das Versprechen einzuhalten, mit den Menschen gemeinsam an der Zukunft zu arbeiten. Das ist die Aufgabe, die ein OB hat – an den Stellschrauben zu drehen und Türen zu öffnen. Es ist ein aufwendiger Weg, der Mut braucht, Neues zu wagen.

Nennen Sie mir doch bitte drei Projekte, die für Sie in 2021 Priorität haben.

Neben der Entwicklung der Innenstädte ist Mobilität das zweite, was ganz wichtig ist. Wir haben Jahre über die Bismarckstraße diskutiert, dank der Unterschriftenaktion haben wir jetzt einen konkreten Auftrag, hier einen Radweg möglich zu machen. Und da wird noch viel mehr hinzukommen. Das dritte Thema, was ich ganz elementar finde, ist der Strukturwandel, der unsere Region auf Jahrzehnte maßgeblich verändern wird.

Wie schwer wird Mönchengladbach an den finanziellen Folgen von Corona zu kämpfen haben?

Spätestens im Jahr 2022 muss sich das Land bekennen, ob es den Kommunen die Schuldenlast abnimmt oder nicht. Und es muss sie abnehmen, sonst laufen wird in das Jahr 2025 mit einem Schuldenberg von 424 Millionen. Und wir sind noch lange nicht am Ende, jeden Tag kommen weitere Mindereinnahmen hinzu. Und je länger der Lockdown dauert, desto später beginnt der Aufschwung. Das Land muss am Ende des Tages sagen, wir machen einen Schuldenschnitt, sonst wird es ab 2025 sehr, sehr schwierig. Wir betreiben seit den 90ern Konsolidierung, die Grenzen des Sparens sind erreicht. Wenn wir anfangen, über Steuererhöhungen zu diskutieren, dann erweisen wir allen einen Bärendienst, die jetzt gerade dafür sorgen, dass wir gut durch diese Krise kommen.

Auf Dauer können wir nicht aus Steuergeldern die ganze Wirtschaft am Laufen halten. Was aber auch dazu führt, dass wir irgendwann zu dem Punkt kommen werden, an dem man über die Verteilung von Lasten nachdenken muss. Es gibt ja auch viele Menschen, denen es gerade gut geht. Die berühmte Schere sollte sich nicht noch viel weiter auftun. Das ist eine gesamtgesellschaftliche und politische Aufgabe, Menschen, denen es wirtschaftlich nicht gut geht, trotzdem Zugang zu Bildung, sozialer Teilhabe und Aufstieg zu ermöglichen.