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Interview mit Dr. Markus Profijt​

Interview mit Dr. Markus Profijt : „Wir brauchen keine 84 Millionen Perfektverzichter“

Die Klimafrage wird viel zu oft an negativen Schlagworten, wie Verzicht oder Einschränkung festgemacht, sagt Dr.-Ing. Markus Profijt, Dozent für Nachhaltigkeitsmanagement und Wirtschaftsethik an der Hochschule Niederrhein. Dabei könne man schon durch Genügsamkeit einen immensen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten. Extra-Tipp hat mit ihm gesprochen.

Extra-Tipp: Herr Profijt, Sie wohnen ländlich, haben einen Gemüsegarten und eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Seit wann ist Nachhaltigkeit für Sie ein Thema?

Markus Profijt: Schon lange. Mitte der 90-er Jahre haben meine Frau und ich einen Bildungsurlaub gemacht, in dem es um das Thema ging. Danach haben wir vieles verändert.

Sie sind kein Freund von Verboten und erhobenem Zeigefinger. Ihr Schlagwort ist Suffizienz.

Das ist der wissenschaftliche Begriff für Genügsamkeit. Im Grunde ist die zentrale Frage nicht nur, was wir wirklich brauchen, sondern auch, wieviel gut für uns ist. Brauchen wir wirklich immer mehr und mehr von allem oder tut es uns nicht besser, zu reduzieren?

Wer legt denn fest, wieviel gut für ihn ist?

Jeder für sich selber. Wenn jeder und jede sich zum eigenen Konsumverhalten Gedanken machen würde, wäre schon viel gewonnen.

Sie sagen, es gibt drei Strategien, mit dem Thema Nachhaltigkeit umzugehen...

Ja, die erste ist die Effizienz. Wir Deutschen sind Weltmeister im Effizientsein. Dann die Konsistenz. Darunter fallen Themen, wie Recycling. Auch darin sind wir Deutschen gut mit unseren Ingenieursleistungen. Da wäre richtig viel zu holen, aber wir kommen da seit 30/40 Jahren nicht richtig vom Fleck. Das Wirtschaftswachstum steigt und steigt, aber wir kommen im wahrsten Wortsinn nicht auf einen grünen Zweig. Und dann gibt es die Genügsamkeit: Jeder hat selber in der Hand, zu bestimmen, wieviel er von was braucht und wieviel von etwas Sinn macht.

Zum Beispiel?

Brauche ich vier Haarshampoos? Braucht man mit zwei Personen in einer Familie wirklich drei Autos? Muss man sich alle zwei Wochen neue Klamotten kaufen, die nach dreimal waschen kaputt sind? Was ist für mich das richtige Maß? Will ich noch mehr essen, weil ich Hunger habe, oder ist es Appetit?

Haben Sie ein Auto?

Wir haben seit über zehn Jahren kein Auto mehr – sind also autofrei und empfinden dies auch als Freiheit. Das heißt für mich aber nicht, dass es jeder so sehen muss. Ich habe an der Uni Wuppertal über Mobilitätssuffizienz promoviert, mit 32 Testpersonen Befragungen zur Mobilität durchgeführt. Auch da gab es Menschen, die sich durchaus ein Auto hätten leisten können, aber es bequemer und entspannter fanden, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Ich finde, es ist für mich persönlich besser, Fahrrad zu fahren.

Üben Sie auch Verzicht, wo es weh tut?

Wir fliegen seit acht Jahren nicht mehr. Wir lieben es mit unserem Fahrrad direkt vor der Haustür in die Ferien zu starten. Das Fliegen fehlt mir nicht, aber manchmal die Erfahrung mit anderen Kulturen. Trotzdem haben wir für uns das Gefühl, dass wir uns alles leisten und erlauben. Auch das muss jeder für sich selber entscheiden – etwa ob es wirklich nötig und sinnvoll ist, dreimal im Jahr zu einem Drei-Tages-Urlaub in irgendeine Stadt zu fliegen. Ist das wirklich entspannend?

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Sind Sie ein „Hundertprozentiger“?

Nein, ich esse zum Beispiel Fleisch. Aber nur gelegentlich und aus guter Haltung. Weniger Fleisch essen kann jeder und es spart auch noch Geld. Aber das heißt ja nicht, dass man sich das komplett verkneifen muss. Wir brauchen keine 84 Millionen Perfektverzichter, sondern Menschen, die sich Gedanken machen.

Diese Woche ist ein riesiger CO2-Sauger in Essen an den Start gegangen, der CO2 aus der Luft filtern kann. Wie finden Sie solche technischen Lösungen?

Das sind erstmal tolle Ingenieursleistungen, könnten aber dazu führen, dass sich viele zurück lehnen und denken, sie müssten nichts mehr tun.

Danke für das Gespräch.